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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Schreiberhaltung noch nicht abgeschüttelt hatte. Was statt ihrer nottat, war Retterhaltung. Die Möwe harrte meiner nicht; sie wollte nur, wie sie ab und an zu erkennen gab, raus aus dem Eis. Das war zwar fest genug, sie festzuhalten; fest genug, mich zu tragen, war es nicht.
    Die Hoffnung, der Vogel lasse sich mit einer langen Stange losstochern, kam gegen meine Einsicht nicht an, daß ich auf dem Grundstück keine Stange finden werde. Mit den Perlonleinen und Trockenspinnen war das Ende der Wäschestützen gekommen. Jetzt, wenn eine Kahnbauer-Stake zur Hand wäre, dachte ich und fühlte mich versucht, es der Möwe zuzurufen, als sie unfern dem Ufer, aber viel zu fern von ihm einen ihrer aussichtslosen Flugversuche machte. Weil ich mich von dem Tier nicht beschämen lassen wollte, wagte auch ich etwas, von dem ich mir nichts versprechen konnte. Ich setzte erst den einen, dann den anderen Fuß auf die dünne Schicht gefrorenen Wassers, unter der ich einen tiefen Schacht voll fast gefrorenem Wasser wußte, und hörte meine Mutter deklamieren: Gefroren hat es heuer noch gar kein festes Eis, das Bübchen steht am Weiher und denkt, wer weiß, wer weiß.
    Ins Warngedicht hinein knisterte der dünne Belag auf dem See so vernehmlich, daß ich wußte, höbe ich den rechten Fuß, bräche ich mit dem linken ein, und begönne ich links, müßte sich rechts wegen verdoppelten Gewichts bei halbierter Standfläche die gleiche Wirkung zeigen. Zwar hätte ich mich, wie es tausend Rettergeschichten dringend empfahlen, auf die anders kaum tragfähige Decke niederlassen und meine Kubikzentimeter auf ihre Quadratzentimeter verteilen können, doch sah ich nicht, wie sich bei solcher Bindung ein Bergedienst leisten lassen werde. Für einen mirakulösen Augenblick machte ich mich schwerelos, machte kehrt, stützte die Hände aufs Ufer, zog mich an Land, stieg auf den Rasen und ging, dieweil in meinem linken Augenwinkel die Möwe, alarmiert, wie mir schien, mit den Flügeln schlug, einem Notfall-Einfall nach.
    Im hausnahen Gelaß lag unser Kajak im Winterdock und konnte Rettung bedeuten. Reichte sein Doppelpaddel nicht zu befreiendem Stochern hin und schwömme es nicht in aufgebrochenem Eis im eiskalten Wasser, mußte seine weitgreifende Gestalt doch geeignet sein, meinen Druck so auf die gefrorene Fläche zu verteilen, daß ich in die Nähe des Vogels gleiten und diesen ins Ungefrorene geleiten könnte.
    Ein Schlüssel war zu finden, ein Schloß zu öffnen, halbe Fahrräder, viele Kisten, Kästen, Körbe mußten beiseite, ein Dreiangel in der Jacke kam zum übrigen; dann war das Boot seeklar und einmal auch nach diversen Anbordgehmanövern besetzt mit mir. Weil ich der Dringlichkeit wegen das Sitzbrett nicht eingesetzt hatte, merkte ich, was der Volksmund mit Grundeis meint. Doch zählte jetzt nur der Vogel, dem, falls man ihn eine Lachmöwe hieß, das Lachen längst vergangen war. Der Aggregatzustand des Wassers freilich zählte auch: Sowenig sich die Paddel eintauchen ließen, so fruchtlos glitten sie über die glacierte Fläche. Bei aller Bewegung bewegten sie nicht das Boot. Mein Versuch, uns mit Händen übers Hartkalte zu stoßen, führte ums Haar zum Sturz aufs Kaltharte. Als ich bedachte, daß ich im Falle, ich bräche im Eise ein, die Eskimorolle nicht beherrschte, drehte ich, was sich leicht anhört, aber schwer zu machen war, mit dem Kajak bei.
    Im Warmen dann wieder und wieder überm Schreibgeschirr, beschloß ich, mich diesem zu widmen und nicht dem Tier in Seenot. Mein Gott, Gott hatte mich nicht gemacht, Möwen zu retten; er hatte mich als Signalgeber gemeint. Nicht die See oder der See, sondern Papier war die Fläche, auf der ich mich bewähren sollte. Schick dich drein, Kreatur, ich muß es auch; ich muß meinen Ideen die rechten Worte suchen, da halte du, ich bitte dich, doch deine verdammten kalten nassen Flünken still!
    Den Teufel tat die Möwe das. In Abpassung meiner nahenden Gedanken, exakt im Augenblick, wo diese in Wortgestalt dem Einfallskokon entschlüpfen wollten, unterbrach der gefangene Vogel mit einem Flügelschlag den Zauber. Einer Änderung der Sitzordnung, durch die ich das leidende Federvieh aus dem Auge zu verlieren suchte, folgte nur meine schriftliche Unergiebigkeit.
    Kaum saß ich nach Vorschrift zurück auf dem angestammten Galeerenplatz, winkten vom Eis des Dammersees Flügel-Signale, die zunehmend dringlich aus SOS in Mayday, Mayday übergingen. Als mir dann auch noch der sinnwidrige Spruch

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