Okarina: Roman (German Edition)
ich mit der Loseblatt-Zeitschrift O KARINA ein Organ geleitet, das für die Ost-West-Kommunikation nicht ohne Verdienste gewesen sei. Für mich allerdings habe dessen eigentlicher Wert in seiner Eigenschaft als Mielkes Leimrute bestanden. Auch sei ich dort einigen schönen, wenngleich wohl kaum zarten Vertreterinnen des schöneren und zarteren Geschlechts begegnet. Wie überhauptder Anteil tatkräftiger Frauen an meinem Aufstieg zum geschätzten Sachbuchautor und beredten Parteifunktionär als nennenswert gelten müsse.
Folglich nahm das Blatt kein Blatt vor den Mund und lieferte so viele Namen, wie sein oder wessen auch immer Archiv hergeben wollte. Und wo keine Namen, so doch sachdienliche Hinweise. Angeführt wurde die Reihe von Frau Wanda, der »umraunten Dimitroff-Mitarbeiterin im Komintern-Apparat«; ihr folgte Frau Danuta, die »legendäre Sowjet-Fallschirmagentin«. Gleich nach diesen beiden tauchte Leutnant Agnieszka in der Reihe auf, obwohl sie, wenn schon, chronologisch an deren Spitze und vom politischen Kaliber her niemals in sie hinein gehörte. Ich hatte Agnieszka, dessen war ich sicher, gegenüber niemandem erwähnt, fand aber den Artikel dort hellsichtig, wo es hieß, »diese pädagogische Dame« sei mit meiner »Einweisung in spezielle Bereiche« betraut gewesen.
Zwar kam die große Dunkle mit dem Kopftuch, der ich bis ins Dunkel des Marszałkowska-Kinos nachgestiegen war, im Verzeichnis der Gefährtinnen nicht vor, wohl aber in einem Ausriß aus dem Bericht über meinen ersten unbegleiteten Weg durch Warschau. Also doch! dachte ich und wies die Entrüstung gleich zurück. Warum hätten sie mich, der ich in späteren und sanfteren Zeiten durch viele Überprüfungen mußte, nicht in dieser heiklen Stunde und heiklen Stadt überprüfen sollen? Ein Kunststück war es zudem nicht. Da sie mir meinen Weg beschrieben, also vorgeschrieben hatten, mußte man mich nur beim Übergang vom unbelebten Ghetto in die belebte Stadt übernehmen. Und erlebte mich, so las ich mehr als vierzig Jahre später, als jugendlichen Fant, der sich blindlings an die erste beste Behende hängte.
Der peinliche Bescheid ließ mich wenig erwartungsfroh in die nächsten Zeilen blicken, in denen ich als skinny and funny und bekloppt verzeichnet stehen müßte, als verdrehtes Kerlchen, das am 4. Juli einer sommerlich gewandeten Dame – my, wenn das nicht Marilyn war – mit zager Fingerpitze auf ihren edlen Spann zu klopfen wagte. Womöglich waren sie, einmal beim Sichten, an eine Meldung von jener einsitzenden Jungpersonund ziemlich grünen Minna geraten, der ich im ungeeignetsten Augenblick unter ungeeignetsten Umständen ans Herz zu gehen versuchte. Doch fand sich im Unterschied zu Mikołajczyk von Marilyn und Minna nicht die geringste Spur in dem sonst so finderischen Blatt.
Aus diesen Lücken ließ sich auf den Beginn der Observation schließen. Die hatte, keineswegs unlogisch, erst mit meiner teilweisen Freisetzung begonnen und fortan Schritt mit ihr gehalten. Wobei, nicht wahr, Genossen, unterschieden werden mußte zwischen der verdeckten Aufsicht, die Überwachung hieß, und einem Augenmerk, das zu jedermanns Besten diente, da es der gerechten Einschätzung seiner Person und deren zweckmäßigem Einsatz galt. Frau Wanda, Frau Danuta und Fräulein Agnieszka kamen in meinen Unterlagen zu Wort, da sie mir als Lehrerinnen ein Zeugnis geben mußten. Ab meiner Promotion durch sie hatten Dritte ein Auge auf mich gehabt und es fortan sorglich und zu Recht auf mir und denen, die mit mir waren, ruhen lassen.
Zu seiner Geschichte mit mir als zweifelhaftem Helden sei es, war im Blatt zu lesen, bei Auswertung sowohl ostdeutscher als auch polnischer Akten gekommen, deren bemerkenswerte Gemeinsamkeit im Herunterspielen meiner Aktivitäten bestehe. So habe man Eingaben aus der Bevölkerung (etwa eines Gemeindevorstehers aus Ostdeutschlands Ruhner Bergen und einer Mutter aus der nordöstlichen Stadt Güstrow) in den Wind geschlagen, in denen mein – nach heutigem Sprachgebrauch – sexistisches Betragen am Arbeitsplatz bzw. die sexuelle Nötigung einer Jugendlichen ausgerechnet im Weichbild des Reichs- bzw. Bundestages angeprangert wurde. Sogar die in diesen Dingen sonst so empfindlichen Polen hätten auf Beschwerden wegen meines »provokativen Hervorhebens eines Hakenkreuzes durch demonstratives Heraustrennen desselben« lediglich mit dem Verweis auf seinerzeitige Probleme der Textilversorgung einerseits und die Durabilität von
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