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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Phönix aus dem Eis nicht aus dem Kopf wollte, war es genug.
    Ich rief die Feuerwehr. Zum ersten Mal in meinem Leben und auf die Weise, wie man mir ein Leben lang gepredigt hatte. In gefaßter Haltung mit Namensangabe und präziser Beschreibung von Standort und Schaden. Der Feuerwehrmann nannte mich Anrufer und fragte, wieviel Personen in Eisgefahr seien.
    »Nicht Gefahr, sondern Not«, sagte ich; »keine Person, aber ein Vogel. Es geht um eine Möwe und in gewisser Weise um mich.«
    »Anrufer, tun Sie nichts Unbedachtes«, sagte der Mann von 112, »wir sind gleich bei Ihnen.«
    »Nicht bei mir, bei der Möwe sollen Sie sein!« sagte ich. Weil sein Schweigen wie Widerspruch klang, fügte ich hinzu, von früh auf sei mir die Feuerwehr als Retterin von Sittichen bekannt; und nun wolle sie eine Möwe, die mir in ihrer Not mit den Fittichen in die aufkommenden Ideen schlage, gering achten?
    »Anrufer«, hörte ich den Angerufenen sagen, »mir scheint es weniger ein Fall für die Feuerwehr als für, als für die Polizei zu sein. Ich verbinde.«
    Gern hätte ich ihm auf den Kopf zu gesagt, für was für einen Fall er mich halte, aber die 110 war schneller als dieser Gedanke. Ich wiederholte meine Meldung, und die Frau, die mich Teilnehmer nannte, wiederholte meinen Namen. Sie schien mit ihm etwas anfangen zu können, das mir nicht angenehm sein konnte. Aus dem Anschein wurde Anfaßbares, als sie sagte, mein Fall sei unzweifelhaft ein Fall für die Wasserpolizei und sie verbinde mich.
    Zur Wasserpolizei dauerte es länger. Vielleicht, weil sie meinen Notruf über Winsen an der Luhe leiteten. Tatsächlich wohl, weil ein Computer mich ihrem Kommandeur zugeleitet hatte. In diesen Künsten verhielten wir beim Weltstand. Bei der Lagebesprechung ein Kommandantenwort über das Großmaul, welches der Polizei in den Rücken falle; der Rest war Programmierersache.
    Vom Genossen Meißner wurde ich nicht Anrufer und nicht Teilnehmer, sondern Genosse Pilatus genannt.
    Er habe gemeint, in meinen Kreisen spiele mehr die Taube eine führende Rolle, sagte er. Nein, er meine, obwohl er meine spezifisch gelagerten Interessen kenne, keine Brieftaube. Er meine die mit dem Ölzweig, mit dem man die Backe kühle, auf die einem der Gegner eins gebrannt habe. Falls unter meinen neuen Freunden ein Ornithologe sei, möge ich ihn fragen, wieviel Wasservögel derzeit in der Eisklemme säßen. Gewiß, das Tier in meiner Perspektive sei ein besonderes Tier. Weshalb die nächste Seepatrouille Order bekomme, bei mir vorbeizuschauen. »Ciao!« sagte mein Wasserschutzgenosse Meißner, und der Computer zwischen uns legte auf.
    Nun hätte ich wieder zu meinen Ideen gekonnt, doch war der Vogel noch da und das Boot noch nicht; das nutzte ich, meins in den Keller zu bringen. Eben hatte ich es an seinen Verwahrpunkt hinter Kästen und Körben gehievt, als von den Signaltönen, auf die ich mich von Berufs wegen verstehe, einer kurz und heftig erklang. Es war der Ansatz nur zu einem Sirenenschrei, doch schlug er mir bis ins Kellerloch. Und in dieStuben und Küchen rings um den Dammersee wohl auch. Ein Schiff mit zwei Flegeln, wie sich zeigen sollte, beschallte meine Wohnstatt.
    Ob der Bürger zugegen sei, der eine hilflose Möwe gemeldet habe, erscholl es von Bord in Discostärke, und ich, wenn nicht einer Kanonade gewärtig so doch weiteren Gejohls, machte, daß ich auf den Bootssteg kam. Ob das von mir gemeldete Lebewesen diese Möwe sei, wollte der Schiffsführer wissen, und auch wenn er mit einer langen Stake über die Reling auf den eingefrorenen Vogel wies, gingen seine nebelhornstarken Worte über meinen Kopf zu den Nachbarn hin, die aus Fenstern und über Zäune lehnten. Ob ich einen Korb habe, fragte er und zog fabelhaft durable Handschuhe mit Gebärden an, derer sich ein Hochöfner vorm Abstich oder ein Hals-Nasen-Arzt vor dem Abstrich nicht hätten schämen müssen.
    Als ich mit dem Korb aus dem Keller wiederkehrte, hielt er die Möwe in seinen bewehrten Händen und ließ das Knäuel aus nassen Federn, scharfem Schnabel und angefrorenen Krallen vor meinen Augen und denen der Nachbarn in das geflochtene Behältnis gleiten. Dann standen er und sein Steuermann an Deck wie eine U-Boot-Crew nach Feindfahrt aufgereiht, und beide gaben mir im Seewärtsdriften je einen Blick voller abgrundtiefem Befremden und unüberbrückbarem Unverständnis, wie ich ihm zuletzt beim Präsidenten der Republik Frankreich begegnet war.
    Den Rest in Kürze: Drei Tage lang blieb der

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