Okarina: Roman (German Edition)
chipbehangenes Kettchen oder, nach Miniaturisierung, einen chipbestückten Ring ablösen ließe, wäre die erforderliche Stückzahl nicht auszudenken. Dazu ein Decodersystem, für das sich nach Ansicht von Herrn Cicero das Pay-TV verwerten lasse.
» Cicero wie der Film, in dem James Mason als Butler die deutschen Kriegspläne verrät? Herrlicher Film, herrlich, wenn Mason dahinterkommt, daß der Secret Service ihn mit Falschgeld bezahlt hat.«
»So was haben wir nie gemacht«, sagte Ronald.
»Dafür waren die Geheimnisse nicht immer echt«, sagte ich. Und sah mit halbem Auge einen Bildschirm-Text, aus dem die Touristen erfuhren, auf der einstigen, aber auch künftigen Prachtstraße, über die sie soeben führen, hätten einmal sogenannte Litfaßsäulen gestanden, deren leimdurchsetzte Papiermäntel von den notleidenden Berlinern verfeuert wurden. Einige seien in diesen kannibalischen Läuften auch verspeist worden.
»Berliner oder Litfaßsäulen?«
»O. K., ich gestehe, ich habe deine Uralt-Idee verwertet,aber das mit der Knochenleimfresserei stammt vom Chef«, sagte Ronald.
»Er hat nicht zufällig über Aufstandsfragen promoviert?«
Auch wenn die Fahrstunden mit Opel Kadett und Stalinskis Kutsche an ihm nicht verloren waren, bedurfte es Ronalds ganzer Aufmerksamkeit, den Cicero-Scooter so über die halb verbaute Wilhelmstraße zu bringen, daß sich der japanische Vortrag über deutsche Geschichte stimmig zu den Wegmarken verhielt. Wo es doch einmal stockte, schaltete er Tonbandmusik zu, die vom Monitor beispielsweise in Höhe Reichskanzlei als Militärmelodie Badenweiler Marsch bezeichnet wurde.
»Müßten wir nicht aufstehen und Heil! schreien?« fragte ich.
»Nicht erforderlich. Was hast du auf dem Herzen?«
Ich sagte, zwar verspreche sich mein Anwalt nicht viel davon, doch wüßte ich gern, ob es seines Wissens einen polnischen Anstoß zu der Bekanntschaft zwischen ihm und mir gegeben habe.
Es sei nicht üblich gewesen, Mitarbeiter mit solchen Kenntnissen zu versehen, sagte Ronald. Die habe er sich später, genauer: vor kurzem erst, verschafft. »Du hast mich nach unserer Ausfahrt über diese historische Meile einfach interessiert. Ich habe dich in den Dienstbericht gegeben, dann kam der Auftrag zu prüfen, ob einer an dir dranhängt. Der Westen, die Freunde – von Polen war nicht die Rede. Möchtest du mein Opfer sein?«
»Ich will nur wissen, wo es angefangen hat.«
»Nicht erst mit meiner Meldung. Dazu wurde der Auftrag, sich ein Bild von dir zu machen, viel zu schnell erteilt. Du lagst bei uns schon vor, wie ich jetzt weiß. Als du nach Hause kamst, war eine Beurteilung mit dir verkoppelt. Eine vom Berliner Verbindungsmann in Warschau. Die ging an Strickland; der hat eine Kopie an uns gegeben. In den Unterlagen steht, du sollst Schwachstellen in der Frauenfrage haben.«
»Weiter nichts Polnisches dabei? Oder Sowjetisches?«
»Auch nichts Amerikanisches oder Japanisches. Aus Warschau gab es später den Zettel über die Mikołajczyk-Sache, mit dem keiner etwas anfangen konnte. Auf die Gefahr, Bruder,daß es dich kränkt: Unter dem Gesichtspunkt O KARINA erschienst du wünschenswert sauber.«
Es kränkte mich tatsächlich. Im lächerlichen Nachhinein wäre ich lieber wie einer dagestanden, zu dem man sagte: Ein Kader wie du! Oder gar: Ein Ideengefäß wie Sie!
Wir fanden beide, es sei ein Glück für Gabriel Flair gewesen, nach seinem Dahindämmern in der Fernsehniederung einfach zu verlöschen. Über einen größeren Teil der Wilhelmstraße befragten wir einander nach dem Wohlergehen und beseufzten unsere Auskünfte nicht. Sein früheres Dasein unterscheide sich vom heutigen wie ein Road Movie von einem Stilleben, sagte Ronald. Nach einer Weile schickte er den Satz hinterher: »Falls sich erlaubt, das Leben über die Kunst anzupeilen.«
»Na, hör mal, Ciceros Cicerone und historische Märsche auf japanisch; das hätte gröber kommen können«, sagte ich und bat ihn vorm Hotel Adlon , das dabei war, in eine Pracht zurückzukehren, die ich nie an ihm gesehen hatte, mich aus Herrn Ciceros Schnurreding auf das Hauptstadtpflaster zu lassen. Ich wolle noch den Reichstag, der bald Bundestag werde, von einem bestimmten Punkt der Spreereling her betrachten.
»Richtig«, sagte er, »das steht auch in deiner Akte.«
Ich winkte ihm und den Japanern zu und las beim Aussteigen vom Display, daß im Passagierteil der Cicero-Fuhre die Volksmelodie Wenn der Topf aber nun ein Loch hat gegeben wurde.
Herrn
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