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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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hingegen entnehme er zwei durch Ort und Zeit unterschiedene Geschehnisse. An dem einen, dem in Pulawy 1945, hätten laut Baumholder inklusive seiner und meiner fünfzigtausend Gefangene teilgenommen. Nach meiner Darstellung jedoch seien es nur fünfzehntausend gewesen. Fünfzehntausend einschließlich meiner, aber ausschließlich Baumholders. An dem anderen, dem Großen Warschauer Corned-Pork-Bruch von 1947, sollten sechs Leute beteiligt gewesen sein, zu denen ich fünf Vornamen wisse. Da komme, wie wir oft genug durchgekaut hätten, als sechster nur dieser Baumholder in Betracht.
    »Wohl wahr, nur hat der Kerl, der bei uns arbeitete, ehe er uns verpfiff, weder Jan geheißen, noch war er beim Ziegelmarsch dabei. Nein, der Name Jan hat sich mir infolge eines Galgenstricks auf Dauer eingeprägt, und diesem bleichen Kameraden hätte ich nie die Geschichte meines Lebens unterbreitet. Schon gar nicht beim Klauen. Himmel, dann noch eher dem Fähnrich, der manchmal bez koniecznej potrzeby schoß und ihn an der Leine führte.«
    Es sei nett, daß ich den erwähne, sagte Dr. Wipfel, er frage sich, ob wir nicht statt nach dem Hündchen nach dessen Herrchen, diesem Fähnrich, fahnden sollten.
    »Wer weiß, was aus dem geworden ist«, sagte ich.
    Das sei nach dem deutschpolnischen Teil unseres Jahrhunderts kein so abwegiges Grübeln, fand der Anwalt und gab sich wenig Mühe, meine roten Ohren zu übersehen. Er werde einen Kollegen in Warschau fragen, dessen Ehrgeiz es sei, derartiges herauszufinden. Bei dieser Gelegenheit und bitte kein Mißverständnis: Einen Kader wie mich, wie Leute wie ichwohl genannt worden seien, habe sicher eine Akte begleitet. Ob ich wisse, was über meinen polnischen Part in ihr stehe. Ich verneinte, und Dr. Wipfel fragte nicht weiter.

41
    Am nächsten Tag rief ich Ronald Slickmann an. Er habe geahnt, daß ich ihn sehen wolle. Ab wann es mir passe.
    »Ich muß mich nur noch kämmen«, sagte ich.
    »Dann schaffst du es leicht. Vierzehn Uhr vorm Hotel Cicero«, sagte er und beschrieb mir den Weg.
    Das Hotel hatte in eine Baulücke im Winkel zwischen Leipziger- und Wilhelmstraße gepaßt. Eine Hightech-Herberge, in der vermutlich außer den Damen an Rezeption und Bar alles von digital gesteuertem Charakter war. Slickmann stand neben einem glitzernden Kleinwagen, der den schwungvollen Schriftzug Ciceros Cicerone trug. Auch über Ronalds linker Brusttasche und auf dem Band seiner Kapitänsmütze stand es mit metallenem Garn so eingetragen. Er öffnete eine klickende Tür und forderte mich auf, den Beifahrersitz einzunehmen. Dann nahm er seine Kappe ab und verneigte sich vor einem japanischen Paar, das er in den Gastraum des Fahrzeugs dirigierte. Ehe er das Schiebeglas hinter uns schloß, klopfte er mir kraftvoll auf die Schulter und versicherte den Fahrgästen, die zugleich Hotelgäste waren, ich sei Security .
    Erinnerung an den Rummelplatz-Scooter kam auf, als der Wagen mit singendem Elektromotor fast auf der Stelle aus der Parklücke drehte. Der Bordfunk meldete sich in einer Sprache, die laut leuchtendem Display Japanisch war; auf Ronalds Tastendruck zog sich der Ton hinter die Trennscheibe zurück; auf der Wilhelmstraße gab uns der Monitor in Zwölf-Punkt-Cicero-Englisch bekannt, was das Paar im Fond mit japanischen Worten erfuhr: Wir hätten die berühmte Wilhelmstraße erreicht.
    Vorerst noch, erklärte Ciceros Cicerone, müsse er durch Synchronsteuerung von Fahrzeug und Infosystem für eineDeckungsgleichheit von Route und Kommentar sorgen, doch bald werde es wie bei der längst bewährten elektronischen Museumsführung gehen: »Stehst du vorm Mann mit dem Goldhelm, hörst du, du stehst vorm Mann mit dem Goldhelm.«
    »Hier ungefähr«, sagte ich, »muß es gewesen sein, wo wir von deinem Kutschbock zu Gabriel Flair aufs Pflaster gestiegen sind, weil es umgekehrt abgeschmackt gewesen wäre.«
    Ronald antwortete, bestimmt werde Herr Cicero dieses historische Faktum in das Mutterband seines akustischen Stadtplans einarbeiten, sobald er davon erfahre. Herr Cicero sei ein unermüdlicher Ideenverwerter und zur Zeit mit der zivilen Nutzung elektronischer Fußfesseln befaßt. Denn die Frage Wo ist wer? Oder Where is who? sei nicht nur eine von Justizbeamten und Bewährungshelfern, sondern menschheitlich schlechthin. Sie habe sich weit länger als das parteiisch verkürzende Wer wen? behauptet. Liebende und Hassende wüßten gern vom Verbleib ihrer Nächsten. Wenn sich der traditionelle Ehering durch ein

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