Okarina: Roman (German Edition)
Entsprechung fanden, war ich versucht, den Bündelgenossen von der Audienz bei dem bekannten Pfeifenraucher und unbekannten Okarinavirtuosen zu berichten, doch hätten sie es leicht für eine Anspielung an den Flötisten von Hameln halten können. Ohnedies machte uns der Genosse Stalin in Warschau das Leben schwer.
So wenig einer dabeigewesen war, als der Wohnbezirk wie von Zauberhand in Asche sank, so viele Eidbereite traten an, wenn zu beschwören galt, daß Stalin nur einen Finger hätte rühren müssen, um Polens Hauptstadt von ihnen zu befreien, also von denen, die nun auf andere Art im Gęsiówka-Rest von Polens Hauptstadt versammelt waren. Es klang, als würfen sie dem Marschall vor, sie nicht eher und energischer ergriffen zu haben. An solchem Einwurf hinderte mich nur die Miene desBuchenwald-Veteranen. Er schien Stalins Verharren an der Weichsel in Schwingungen der Boger-Schaukel oder in Augenblicke überm Minenzünder umzurechnen. Vermutlich kam er auf Frequenzen und Vakuen, die nicht nur aus Gründen der Orthographie nicht seine Sache waren.
Vor den Parteiabgesandten, besonders dem einen, der eines Tages aus Berlin eintraf und unser vorauseilendes Tun nur mit Mühe nicht verlachte, dafür aber unser Viererbündel allsogleich zerteilte, weil die Schneider nicht nach seinem Gusto waren, da sie ihn an einen gewissen Weitling und dessen Handwerksburschensozialismus erinnerten und an Schriften, die Garantien der Harmonie und Freiheit versprachen und das Evangelium des armen Sünders predigten – vor diesem Abgesandten, der unser kommunistisches Gestammel zum antifaschistischdemokratischen Redefluß kanalisierte, unsere gefühligen Erwiderungen mit bewährten Propagandismen ummantelte, unsere Haltung zu opferorientiert und demnach, weil einengend, ungeeignet nannte und von allen Tempora vor allem das Futurum kannte und bei seinem ersten Besuch von Tito schwärmte, den er beim zweiten aus sich und uns verbannte, und uns so in Abweichungen unterwies, daß wir sie weit früher als die dazugehörige Linie erfaßten – auch vor diesem Zentralgesandten, der uns naturbelassener Antifa eine künftige Ordnung versprach, aus der vor allem Ordnung sprach, schwieg ich von meiner verdeckten Visite beim Kremlherrn, weil ich, mit Gründen wohl, fürchtete, diesem hätte es mißfallen, und jener wäre erblaßt.
Ich bereute die Zurückhaltung, als mir der Erzieher im Zusammenhang mit der Einnahme von Schweizer Vitaminen eine politisch unverträgliche Indifferenz im Krankheitsfalle bescheinigte, welche sich als mangelnde Wachsamkeit beschreiben lasse, in die eine Tendenz zum Abenteurertum eingelagert sei.
Fraglos erschrak ich, als ich von Freveln hörte, derer ich schuldig war, ohne hinlänglich Kenntnis von ihnen zu haben, aber mit dem Abenteurertum sollte auszukommen sein. Auch schien in die Strafreden der Pädagogen, die nach Kopfabreißen klangen, eine Neigung zum Kopfschütteln eingemischt.Eine Unentschiedenheit zwischen Halsumdrehen und Haareraufen trat an den Tag. Bei der es selbst dann blieb, wenn die bedrohlichere Seite dieser Alternative nach vorn trat. Etwa als ich auf die Frage, welches Licht ich in welche Sache habe bringen wollen, die Einschwärzung meines Gesichtsfelds und den Rat der Gärtner anführte.
Bedenklich wurde es, als der Berliner Beauftragte in Gegenwart seiner polnischen Mitstreiter wissen wollte, von wo sich die nichthistorische Argumentation herleite, mit der ich vor den revanchistischen Angriffen auf die Oder-Neiße-Friedens-Grenze zurückgewichen sei. Es war ebenso eine Erkundigung bei mir, wie es gegenüber den Beraterinnen eine Bekundung sein sollte. Eine Kundgebung, von der ich erst diesseits einiger Horizonte begriff, was alles sich in ihr versammelt hatte.
Ohne hier den Vormund geben zu wollen, weise ich auf das Gewicht dieses Erzählpunkts hin. Und versichere: Was sich wie Karikatur ausnimmt, entspricht treulich dem Aufwand, den wir beim Umgang miteinander trieben. Allem Veteranischen abhold, betone ich, daß ich ein Veteran derart aufgeladener Begegnungen bin. Was kreuzte und schnitt sich nicht alles, als der Berliner und seine Kolleginnen und Kollegen aus Warschau ein Kollegium bildeten, einen Ausschuß, einen Wohlfahrtsausschuß, um über Ausschluß oder Verbleib eines zwanzigjährigen Ganzundgarnichtberliners und Ganzundgarnichtwarschauers zu entscheiden, den sie überforderten, indem sie ihn richteten, und den sie retteten, indem sie ihn überforderten.
Das Fünfer-Kollegium
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