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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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güterähnlichen Umschlag erfahre. So daß das Fabrikgeheimnis als eine Angelegenheit, deren Geheimhaltung für das Wohl des Staates erforderlich sei, ähnlich in den Band 6 gehöre, wie das Staatsgeheimnis in Band 18 als »eine Angelegenheit, deren Geheimhaltung für das Wohl des Staates erforderlich ist« beschrieben stehe. – Ob ich raten wolle, welchem Gegenstand er sich nach der Heimkehr zuwenden werde, und ob ich, ich als Antifa, ihm verraten könne, wann damit zu rechnen sei.
    Unter Verweis auf die Nachtblindheit nahm ich Abschied von den Gärtnern im Belweder. Beim Roten Kreuz gebe es gegen diese vorzügliche Pillen, sagten sie; das Quartier liege auf dem Wege. »Lieber nicht«, antwortete ich und ahnte vom Verzicht, mit dem der politische Aktivist sein Leben ebenso fristet wie erhöht.
    Natürlich beging ich das Pharma-Delikt. Nicht am selben Abend, doch lieferte der Weg in die Gęsiówka ein starkes Motiv, es keine weitere Dämmerung hinauszuschieben. Kaum vom Präsidenten los, merkte ich, wie rasch es in seinem Garten dunkelte. Zwar war der reichlicher als der Rest des Landes mit Laternen bestückt, doch sah ich im Abendgrau wenig mehr als matte Spiralen. Es half, daß ich mir die Richtung eingeschriebenhatte, doch geriet mir jeder dritte Geröllhaufen vor die Füße. In der unheilen Stadt summierte sich das.
    Der Gedanke geniert mich, man habe mich für einen Trunkenbold halten müssen. Dabei folgte ich nur einem Einfall aus dem Geist der Kommunikation. Zunächst hatte ich es mit der Pfingstausflugs-Gangart versucht, bei der ein Fuß übers Trottoir und der andere durch den Rinnstein schlurft. Das ging auf der menschenleeren Allee. In Höhe der US-Botschaft erwog ich, bei Mr. Bonsall eine Lampe auszuleihen, doch mußte ich für möglich halten, daß die Missions-Amerikaner in einem, der die Gärtner des polnischen Präsidenten in Grenzfragen unterwies, einen namhaften Kombattanten des Kalten Krieges erblickten.
    Auf dem Kurs hinter der Alexander-Kathedrale blieb ich weniger allein und stieß mit wachsender Dichte der Bevölkerung zunehmend oft mit Teilen von ihr zusammen. Beim herrschenden Humor hätte ich mithalten können; beim vorherrschenden Polnisch nicht. Weshalb ich mir den erwähnten Einfall abzwang.
    Sobald es die abflachende Verkehrslage erlaubte, also am Ende der Marszałkowska und nahe Sächsischem Garten und Eisernem Tor, tastete ich mich mit dem linken meiner holzbesohlten Schuhe in eine Schiene der hier noch nicht remobilisierten Straßenbahn. Die klobige Sohle und die rostige Rinne paßten innig, und treulich vom Gleise geführt schürfte ich mich Richtung Gęsiówka. Wie stark es befremdet hat, hörte ich aus überholenden Studebakern und Opeln. Ungefähr dort, wo später der Kulturpalast dem Stadtbild einen Moskauer Einschlag versetzte, rief mir ein unsichtbarer Passant zu, ich befinde mich im geographischen Herzen Europas und möge mich, cholera jasna, entsprechend benehmen.
    Hätte ichs gekonnt, hätte ichs getan. So aber schritt ich mit dem rechten Bein schneller aus und schob das linke derart übers Gleis voraus, daß um mich her die Kiesel sprangen. Der Umweg über Elektoralna und Solna kostete Zeit, doch fand ich eine Trasse, in der ich auf die vertraute Feldbahnspur treffen mußte. Was mich pfadfinderisch beruhigte, doch seelisch weniger. Gerade hier bedurfte es der eisernen Führung meinesTritts. Denn wie sich kein Licht zeigte, war auch kein Leben mehr an diesem Ort. Anders als der Fuß fand das Herz nirgends Lenkung. Zu meinem Schaden wußte ich, wie ringsum die Erde aussah, und wußte auch, wie leicht man in dieser Stadt für den gehalten wurde, der schuld an ihrem Zustand war.
    Wer nicht glauben mag, daß sich einer nach einem gefängnisähnlichen Behältnis sehnen kann, hätte mich hören sollen. Zwar schob ich den Schuh lautarm durch die eiserne Rinne, aber hinter meiner Stirn ging es lärmend zu. Was hatte mich geritten, aus sicherem Gewahrsam in unsichere Halbfreiheit zu wechseln? Was mich veranlaßt, Wanderprediger zu werden, wo man mich an wechselnden Orten als Schweizerdegen willkommen hieß. Ein rechter Hans im Glück auf polnisch mußte ich heißen, ein Tor, der sich vom Handsatz ins Zungenwetzen tauschte. Studiert wieder einmal das Gruseln und fände, käm nun der böse Wolf aus den vielmals geplünderten Halden, zu seinem Schutz und Versteck nicht Kanne noch Wanne noch Pendeluhr. – Vorm Wolf ängstigt sich der Herr Soldat. Eben noch die Heilsbringerklappe, nun

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