Okarina: Roman (German Edition)
bestand ausschließlich aus Vorkriegskommunisten. Aus Börgermoor- und Workuta-Kommunisten. Buchenwald- und Bereza-Kartuska-Kommunisten. Legalen und illegalen Kommunisten. Maquis- und Untergrundkommunisten. Partisanen- und Hauptverwaltungs-Kommunisten. Rechtsabgewichenen, linksabgewichenen Kommunisten. Komintern-, Kominform-, RGO- und RGU-Kommunisten. Kommunisten, die den Bomberschwärmen voran mit dem Fallschirm in ihre Heimat, und Kommunisten, die vor dem Fallbeil der Heimat her in die Fremde kamen. Zum Kathederkollektiv vereinte vaterlandslose kommunistische Gesellinnen und Gesellen.Atheistische Juden, atheistische Christen, antinationalistische und vor allem antiantisemitische Antipogromkommunisten. Kunstliebende, radauliebende, rumwieruhmwieliebeliebende Kommunisten. Kommunistinnen und Kommunisten, die im Verhören ähnlich erfahren wie im Verhörtwerden waren. Zwei Frauen, drei Männer, die gemäß der Linie nicht zu laut sagen sollten, daß sie zu den Kommunisten zählten. Öffentlich beglaubigte und geheimdienstliche, revisionistische und stalinistische Kommunisten. Und die alle, istesdennzuglauben, versammelt wegen mir und meiner Nachtblindheit.
Natürlich waren sie Stalinisten. In unterschiedlichen Graden, auf unterschiedliche Dauer. Wenn sie unterschiedlos stalinistisch mit mir umgesprungen wären, gäbe es diesen Bericht nicht. Sie ließen mich wissen, Marx und Lenin drehten sich meinetwegen in ihren Gräbern um. Sie reduzierten es nach kurzem Disput, den sie aus dem Mundwinkel führten, und nach einem Blickwechsel, der aus den Augenwinkeln erfolgte, auf Karl Marx, weil W. I. Lenins sterbliche Hülle im granitenen Mausoleum einbalsamiert und doch wie aus Basalt gehauen daliege und den unverrückbar ruhenden Pol der sozialistischen Weltbewegung abgebe. Seine Seele aber, sagte eine der Polinnen unter weitgehender Verwendung ihrer Mundund Augenwinkel, rotiere derzeit meinetwegen sehr.
Was da Vitaminmangel, ein Mangel an politischem Instinkt liege vor, rief der Berliner und hörte von der älteren Warschauerin, sie höre von Instinkt nicht gern. Ob sie Klassenbewußtsein lieber höre. Ja, das höre sie lieber, aber der Begriff greife im gegebenen Falle nicht. »Woher soll er das Bewußtsein haben?« Obwohl sich die Schlinge zu lockern schien, hörte ich mich ungern als schadhaft beschrieben. Und wie einer, der nicht vorhanden war. Oder taub. Oder blöde.
Die jüngere Warschauerin fragte, warum ich wütend sei, und mein Genosse, der Minen und Boger-Schaukel entrinnen und aus unserem wildwüchsigen Antifa-Komitee in den ordentlichen Antifa-Rat übernommen werden konnte, rief von Herzen verletzt: »Wütend sind immer noch wir, du! Wenn hier einer wütend ist.«
»Womit wir bei der Grenzfrage wären«, sprach der Linienzieherund wollte hören, wie ich den Verzicht auf die historische Argumentation vor den polnischen Genossinnen verantworten wolle.
»Es wird nicht nötig sein«, sagten die Frauen aus deutschpolnischem Munde. Die ältere fügte hinzu, es genüge, wenn Breslau zu Polen gehöre, und die jüngere fügte hinzu, da müsse es nicht immer Wroclaw geheißen haben. Dem allen fügten sie je einen Blick für mich hinzu, auf den ich je eine Liebe gründete.
Was sich über mich und das dritte polnische Mitglied des meinetwegen versammelten Kollegiums schon deshalb nicht sagen ließ, weil es ein Oberleutnant war, der nach internationaler Oberleutnantsart keinen Blick, aber beißende Worte für mich hatte. »Der Zufall will es«, sagte er, »daß weder die Damen noch ich direkte Nachfahren der slawischblütigen Helden von Grunwald sind; da fehlt es uns an einem gewissen Eifer. Ach, wenn mir alles gehörte, wo ich schon war! Sagen wir so: Um die braven Deutschen, welche uns anempfohlen sind, nicht zu überfordern, erlassen wir ihnen, alle Orte zu lernen, an denen der polnische Fuß bereits zu Römerzeiten weilte. Von mir aus, junger Herr, machen wir ein ehrliches Geschäft: Ihr behaltet, was man euch nehmen will, und wir bekommen wieder, was ihr uns genommen habt. Es kann auf Vorschuß sein: Im Augenblick, da der erste, der hier wohnte und Abgang via Umschlagplatz nach Treblinka oder Birkenau machte, aus seiner Asche aufsteht und aus Birkenau oder Treblinka via Umschlagplatz zurückkehrt in die Gęsiastraße, im selben Augenblick soll von der Odermündung bis zur Quelle der Elbe inklusive Rübezahl alles euch gehören. Was meinen Sie, ist das ein Wort?«
Wer so mit mir sprach, traf mich furchtbar. Mit einem
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