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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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der man losging auf mich, als gelte es dem widrigsten Gegner. »Dabei wart ihr doch Freunde, du und dein fabelhafter Antifa-Rat. Oder du und deine famose Partei.«
    Das eben weiß ich auf eine komplizierte Weise nicht. Eine Weile meinte ich ernsthaft, aufs Gemeinwohl gesehen stehe der politische Gefährte höher als der Freund. Weil erst er einen Zustand sichere, der Freundschaft möglich mache. Ein Herzensbruder, der keine Klassenbrüder kenne, tauge allenfalls für den Spaß, doch auf Wache auf den Zinnen der Partei ziehe man besser mit griesgrämig vigilanten Genossen. Was, wie ich bald merkte, eine unsinnige Unterscheidung war. Denn einen Freund, mit dem ich nicht Teile der Weltsicht teilte, hatte ich zu keiner Zeit.
    Freundinnen schon, aber da wird auch anders geteilt. – Für diese Bemerkung, ich weiß, gehört mir der Schlips abgeschnitten.Um nur vom Schlips zu reden. Was mich nicht hindert, auf ihr zu bestehen. Ein Gleichklang politischer Empfindungen war nicht schlecht für die Empfindungen; als deren Bedingung galt er nicht. Auf Dauer und je mehr es um weltliche Dinge ging, störte es, wenn die eine von uns zweien mehr Jesum oder Maon als Marxen zuneigte, aber zuweilen störte es gar nicht. Es war lustig, sich über Feuerbach oder Vormärz in feurige Lust zu reden, doch März tat es auch. Letztlich entschied, und damit kommt die Waage nicht nur ins Gleichgewicht, sondern schlägt aus zugunsten all unserer lieben frouwen, weniger die Beschaffenheit ihres Weltbildes als vielmehr ihre Beschaffenheit als Weibsbild über des Mannsbilds Wohlbefinden.
    Doch ehe ich mich zum Schlips auch um den Kragen rede, bleibe ich bei der Frage, warum ich über bisherige Verhöre hinaus die Vernehmung durch Gleichgesinnte hinnahm. Nun, es schien ein Preis der Gleichgesinntheit zu sein. Es war nicht so abgemacht, es war so. Ein Brauch, der von anderen weniger gestiftet als eingeschleppt wurde. Wenn in einer geschlossenen Gesellschaft wie der Gęsiówka jeder tausendste Insasse einer kommunen Meinung widerspricht, suchen und finden sich die vier hernach, die unter viertausend widersprochen haben. Beäugen einander, horchen einander aus, besprechen sich, schließen sich, und tun dies weniger durch Worte als durch Tun, zusammen. Und wenn diese Vier drei Alte sind, erfahren im Zusammenschluß, und ein Junger, unerfahren in vielem Betracht, aber entschlossen, die Welt zu verändern, dann nimmt der Junge die Regeln ohne Einspruch an: Right or wrong, my circle! In Polen, doch noch nicht verloren!
    Einen der Erfahrenen hatten sie auf der Boger-Schaukel so lange krummgehängt, bis er aus freien Stücken Minen räumte. Das nahm er sich krumm und ging mit seinen Nachbarn um, als habe er sie in Buchenwald unterm Gewehr gesehen. Manchmal führte er vor, wie aufrecht der sitzt, dessen rücklings gefesselte Hände und Füße wie Ösen einen Pfahl umschließen. Darin überzeugte er, nur hätte er Ösen mit und Pfahl ohne h geschrieben. Doch war er auch darin groß, daß er alles Schreiben unterließ. Das Schriftgelehrte sei meine Sache, sagte er und hatte den Bogen, der ein alter und immer wieder neuerPartei-Bogen war, wirklich raus, es zu gleichen Teilen nach Vertrauen und Mißtrauen klingen zu lassen.
    Die beiden anderen waren ein Schneider und sein Gehilfe. Privateres besprachen wir nicht. Wir besprachen, worin der Nationalsozialismus weder sozial noch national gewesen sei. Und daß er auch außerhalb Italiens Faschismus heißen müsse. Der so vom Imperialismus den Gipfel darstelle wie der Imperialismus den Gipfel vom Kapitalismus. Weshalb der eine weg müsse, wenn der andere weg solle. Der Schneidermeister neigte zur Selbstkritik. Die Ausbeutung, sagte er, finde bei ihm und seinem Gesellen nur deshalb zur Stunde nicht statt, weil der Geldverkehr zwischen ihnen ruhe. Sie wollten ihr Modell, das ich zu ihrer Freude den Gęsiówka-Ansatz taufte, im heimischen Weserbergland praktizieren und beklagten, daß man dort seit dem skandalösen Zwischenfall mit dem Verführer von Hameln aus ungesundem Mißtrauen nie zur ursprünglichen Gesundheit zurückgefunden habe.
    Sie waren gut zu leiden und blieben weder dem Gegreine noch dem Geknurre um uns herum etwas schuldig. Zusammen mit ihnen und dem Buchenwaldmann zum antifaschistischen Rutenbündel verschnürt zu sein, lehrte mich, daß sechse durch die ganze Welt kommen, viere aber im Geistkampf gegen viertausend Entgeisterte auch nicht ohne sind. Ihrer Beschränkungen nicht achtend, die in meinen ihre

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