Okarina: Roman (German Edition)
mich vor der Verdammnis gerettet.
»Mit Ihrer aller Erlaubnis trete ich vor die Tür, um ein wenig Rauch zu schnappen«, sagte der Oberleutnant und zog ein silbernes Etui aus seinem exmilitärischen Zivilrock. »Die Erlaubnis bekommen Sie«, antwortete die jüngere seiner Kolleginnen, »sofern Sie in Ihrem Kästchen auch etwas gegen meine Gesundheit haben.« – Sie erhoben sich und waren halbaus der Tür und noch nicht ganz außer Hörweite, als sie einen Austausch begannen, der zweifellos mich meinte. Zweifellos, sage ich, weil es zweifelhaft scheinen könnte, daß zweie, die ihr Deutsch nicht zuletzt erlernten, damit man ihnen nicht auf ihr Polnisch komme, unter meinen deutschen Ohren und bei Schonung ihrer Mund- wie Augenwinkel etwas besprachen, was mich mit Haut und Haar betraf. Als hielten diese politpädagogischen Personen für ausgeschlossen, mein deutsches Gehör könne ihrem polnischen Gespräch gewachsen sein.
Das war es aber. Wenngleich keinem aufgezeichneten, in dem beispielshalber Łódź Łódź geschrieben stand, was man annähernd Hwuudj aussprach. Seit mehr als zweieinhalb Jahren wurde ich, ob ich wollte oder nicht, ob man wollte oder nicht, in polnischen Austausch einbezogen, hatte in dieser Sprache fast nur reißenden Tadel oder höhnisches Lob erfahren, hatte in ihr nach Zeichen geforscht, die mir von Tod oder Leben sagten, hatte in sie gehorcht wie in den Trakt nach dem Henker, hatte gelauscht, ob sie von meiner Heimkehr flüstere, hatte sie nach Brotkrumen abgesucht und nach Erbarmen, hatte sie Vorschriften brüllen, Fünfundfünfzigprozentiges lallen und Frommes singen hören, sammelte ihre Schließerkommandos und Kutscherflüche, wußte, wie sie bei Klagen und Anklagen klang, war ihr Mittelpunkt in Verhör und Gejohl, konnte unterscheiden, wann auf polnisch von meiner Gattung oder mir als Person die grimmige Rede ging. Und hätte nach solchem Studiengang nicht verstehen sollen, was der Oberleutnant und seine Vorgesetzte hinsichtlich meiner diskutierten? Allenfalls verstand ich nicht, warum sie den Verstand nicht hatten, zu verstehen, daß ich sie verstehe.
Ebensowenig hatte ich den Verstand zu verstehen, die beiden könnten sich mir zu verstehen geben wollen. – Sie sagte: »Wäre der nicht etwas für euch?« – Er fragte: »Wer?« – »Kommen Sie, Witold!« – »Sie meinen diesen blonden Blinden?« – »Ja, diesen blinden Blonden.« – »Dieses freche Stück Scheiße?« – »Soviel ich weiß, passen die gut.« – »Soviel Sie wissen, ist gut. Sie wissen, on już ma swoją historię. Verzeihung, dieser Mensch hat schon seine Geschichte. Es gibt eine offizielle Akte. Zwei Ministerien,unseres nicht gezählt. Zwei deutsche Ministerien, Pullach nicht gezählt. Und die Schtotakowscy in Karlshorst auch nicht. Ihr Zögling, Madame, wird von diversen Komitees erwartet. Aus diesem Grunde nicht von unserem.«
Man hat schon unverständlicher über mich gesprochen. Gehaltloser. Und auch folgenloser. Ich hätte nicht aufschreiben können, was von den beiden Rauchverzehrern gesagt wurde, aber aufsagen wohl. Ślepy und Wychowanek , also blind und Zögling , waren Lieblingswörter des Oberleutnants, weshalb ich sie mir früh hatte übersetzen lassen. Sie drückten die Skepsis des Mannes hinsichtlich des Ehrgeizes der ihm vorgesetzten Frauen aus. Wenn ich es richtig deutete, glaubte er an keine Wandelbarkeit von deutschen Menschen, sondern allenfalls an deren Verwendbarkeit. An welche er dachte, war vor dem eben verklungenen Dialog nicht weiter rätselhaft. Rätselhaft nahmen sich ausgerechnet die deutschen Ortsnamen aus, welche, wie soeben gehört, in meiner Historia eine Rolle spielten. On już ma swoją historię? Was hatte meine Geschichte mit Karlshorst zu tun, wo die deutsche Kapitulation besiegelt wurde? Und was mit einem Platz namens Pullach, dessen Unbekanntheit in dreistem Widerspruch zu der Behauptung stand, dort warte ein Komitee auf mich.
Er hat schon seine Geschichte? So kann man es nennen, wenn einer aus gewöhnlicher Gefangenschaft in ein ungewöhnliches Gefängnis gerät. Weil man ihm zu den allgemeinen Verbrechen einen besonderen Mord vorwirft. Was der speziellen Untersuchung bedarf, die sich über dreizehn Monate und durch diverse Behörden, polnische wie deutsche, hinzieht und mit dem Satz Es war nicht so, aber es hätte gekonnt sein endet. Und eine Spur hinterläßt, die Historia heißen könnte.
Der Gehalt des Gesprächs in Warszawas Gęsiówka reichte hin, mein Interesse
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