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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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nach meinem letzten zweiten Frühstück begegnete, ohne Widerstand erlegen. Zumal es nicht einfach ein zweites, sondern überhaupt ein Frühstück war. Auch erste Frühstücke, denen keine zweiten folgten, fanden, als ich nicht zu Tische saß, sondern auf dem Pritschenrand hockte, in diesem Sinn nicht statt. Die Kombinatsbrigade frühstückte wie die Räuber im Märchen. Auch schien niemand einer Ahnung von der Existenz Johann Peter Eckermanns aus Winsen an der Luhe verdächtig. Nach dem Verzehr wurde ich in den kriminellen Verkehr eingewiesen.
    Es galt, unterm Wachturm und unter der Posten Augen ein Sperrgitter anzuheben, über die Frachtrutsche in den Keller zu gelangen, aus ihm ans Oberdeck und dort an eine bänderbewehrte Kiste. Es galt, die eisernen Reifen spurlos aufzuweiten und spurlos abzuziehen, den Deckel anzuheben, ohne ihm einen Nagel zu krümmen, dem Behältnis eine Wehrmachtskonserve zu entnehmen, in diesem Falle eine Büchse Schweinefleischmit dem vielbesungenen Füllgewicht 850 g, und durch passende Steine zu ersetzen, die nicht mehr und nicht weniger als das köstliche Stehlgut wogen. Es galt, schnell und lautlos das Eisenband in die alten Kerben zu schieben, die Ordnung am Tatort auf den gewöhnlichen Stand zu bringen, die Einstiege innerhalb der verplombten Baracke und außerhalb ihrer so zu verschließen, daß nichts zu sehen war vom regelwidrigen Gebrauch, und sich nach der Tat zurückzubegeben an die Resortierung versprengter Güter und eine Miene aufzusetzen, als fehle von diesen nicht ein einziges Stück.
    Kein Wort von Probe oder Bewährung. Ich fragte nicht, warum, wenn schon den Hals oder gar fünf Hälse hingehalten, nur eine Büchse als Beute. Hundertsiebzig Gramm pro Nase und gefährdete Gurgel. Ich gab nicht zu bedenken, wo schon infolge des Eingriffs in die Kisten das Feldgestein einer Begegnung mit dem Revisor harre, komme es doch auf weitere Kiesel nicht an. Der Winsener, der nicht von der Luhe kam; die beiden Bayern, Job und Alexander, der eine Bauer, der andere eines anderen Bauern Knecht; Arnold, der Handelsgehilfe aus Kamenz, dessen Pietismus sich mit gestohlenem Schweinefleisch vertrug, und ich, mit dessen Antifaschismus es sich ähnlich verhielt – wir alle besprachen nicht die Rationalität unseres Vergehens oder wenigstens dessen Ratio, erwogen nicht das Verhältnis zwischen Aufwand und Gewinn oder zwischen Risiko und Beute und unterließen zu erörtern, ob es Diebstahl sei, wenn ehemalige Wehrmachtangehörige in polnischem Kombinat die Hand auf ehedem wehrmachteigene Konserven legten, sondern klauten still und stete vor uns hin. Unrecht Gut gedieh in unseren Augen sehr wohl. Wir nährten uns, falls die Abwesenheit von Schuldbewußtsein so ein moralisches Begleitempfinden zeitigen kann, fast redlich. Wir waren des Glaubens, weil wir unsere Arbeitskraft gemeinnützig einsetzten und wie fünf besessene Rumpelstilzchen wühlten, so daß unter unseren Händen nicht nur manch Eisenband wieder auf seinen Halteplatz um eine Kiste, sondern auch mancher linke Schuh zu seinem rechten Partner und mancher Löffel zurück ins Dreieck zu Messer und Gabel fand. Auch ich auf speziellem Posten im Zentrum für polygraphischen Bedarf fühlte mich von Herzen salviert, weil ich Sorge trug, daß, wer A druckte, auch B drucken konnte.
    Man wird mein Leben in den beiden Teilen der Gęsiówka ein Doppelleben heißen müssen. Den Löffel in illegal gekräftigte Mittagskost getaucht, hörte ich blöden Blickes zu, wenn Bauer Job die Speisen Regensburgs und Knecht Alexander die von Augsburg pries, während es am Abend tunlich war, von Taylor-System oder Curzon-Linie gehört zu haben. Dem Edlen aus, angeblich, Winsen an der Luhe wie dem Edlen aus, hörbar, Lausitzer Land lauschte ich, wenn sie einander sagten, was sie ihren respektiven Gattinnen anläßlich versalzener Suppen und gesalzenen Umgangs mit dem Haushaltsgeld gesagt haben wollten, und in den Streit mit den Offizieren trieb mich der Ehrgeiz, ihnen zwirnfeinen Respekt abzunötigen.
    Unsinn zu sagen, so hätte es weitergehen können; unnötig zu sagen, so ging es nicht weiter. Wie alle, die an ihre Unentbehrlichkeit glauben, wähnten auch die Mitarbeiter vom Kombinat für die Resortierung versprengter Güter ihren Arbeitsplatz sicher. Als das Trüffelschwein auftauchte, waren sie, denen keiner konnte, zu keiner Kenntnisnahme zu bewegen.
    Alles war ungewöhnlich, doch verhielten wir uns wie gewöhnlich. Kombinatschef Fasolka, der nur bei höherer

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