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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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meiner abenteuerlich vagabundierenden Kampfesweise kein angemessenes Mittel gegen die militärstraffe Denkungsart unserer Mitinsassen. Weshalb wir uns zum Block formieren müßten.
    Der Meister kramte in einer durch jahrelangen Nichtgebrauch verklemmten Gedächtnislade und sagte: »Sind die richtigen Kader gegeben, entscheidet ihre Linie alles.« Im Nachhall meines Abstechers in den Kreml klang es mir vertraut wie verkehrt. Doch war es, hörte ich die Schneider sagen, als Magna Charta vom Antifablock im Arbeitslager Gęsiówka gemeint.
    Sie bewährte sich, weil wir den Lagerkommando-König unter Kontrolle brachten. Einfach gesagt und schwer getan? Nicht so schwer: Der militärdeutsche Kommandant war dem militärpolnischen Kommandanten untertan, und uns hatten beide verboten. Wir erreichten unsere Miteingesperrten, als wir uns um Küche und Seife und Briefe kümmerten. Nachdem wir den Kommandanten einen symbolischen, aber in Tabak umsetzbaren Arbeitslohn abgehandelt hatten, räumten uns die Kameraden, denen wir Kollegen wurden, befristet Kredit ein.
    Jedoch schien niemand zu sehen, wie sehr es unseren Status stülpte, daß wir Lohn für Arbeit bekamen. Bis dahin galtenwir als Beute, der man nichts zahlen mußte. Der Ausbeutung aus moralischen Gründen folgte eine tarifgebundene, die uns in die Wirtschaftsbücher führte. In denen mußten wir einen Namen haben. Kostengünstig schien ein Offizialakt, der aus unbezahlten Lagerinsassen knappstbesoldete Kriegsgefangene machte. Wir hießen wieder jeniec wojenny und waren auch auf polnisch vorhanden.
    Das sprach sich herum. Erziehungswillige polnische Kräfte erschienen, und der Schweizer Resident des Roten Kreuzes schickte calvinistische Schriften, die außer einem Katalog bürgerlicher Tugenden auch seine Adresse enthielten. Was mir Halbblindgänger, wie man weiß, nützlich sein und gefährlich werden sollte.
    Im Maße, wie unser Feilschen uns zu Kredit verhalf, ging der mit jedem Wort in Rauch auf, das wir über einen anderen Rauch verloren. Wir versuchten, Leute, die sich unschuldig fühlten, in Zusammenhang mit Schuld zu reden. Ernstlich warben wir für ein Verhalten, das von Einsicht zeugte. Wir hatten kein Mittel, die Zwecke herbeizupressen. Hätten wir sie gehabt, wer weiß. Wir waren mächtig, da uns kein Vorteil winkte. Die Ordnung sah Ordnung vor und keine Widerrede. Ganz gleich, wider was. Weshalb mich stark erheitert, wer mir von verordnetem Antifaschismus spricht.
    Wir kamen halbwegs hin. Bei aller Beschränktheit, vielleicht wegen ihr, waren wir Kader, die ihre Linie entschieden vortrugen. Und durchsetzten. Es ließ uns erfolgreich sein, daß die anderen ihren Vorteil sahen. Wobei mehreres half. Der Buchenwalder hätte längst tot sein müssen und war nicht aufzuhalten. Selbst wer die Boger-Schaukel für kein philosophisches Argument hielt, nahm sie für ein moralisches. Und die Schneider aus Höxter und Hameln hatten ihr Sozialkonzept so vielen Anproben unterworfen, daß es in ihren Augen die Paßform ihrer Hosen besaß.
    Auch ich, ob in Wehrmachts-Knickerbockern oder im Maßzwirn aus Wehrmachts-Zuckersack, war gar nicht schlecht. Kein Schemel zu hoch, daß ich nicht auf ihm hätte weitersagen wollen, was eine Kumpanei aus Faschisten der Faust und der Stirn mir im Rakowiecka-Seminar beigebracht hatte.Da ich zum Eifern wie zum Reimen neigte, war ich von Unterhaltungswert.
    Wie verschieden es zugehen konnte, sah ich im Kombinat für die Resortierung versprengter Güter. Die Leute zu Seiten der Druckbedarfsbaracke rieben mir ihren Nichtbedarf an meinen Ansichten ein. Sie seien mit dem Problem Stiefel zu Stiefel und dem Löffel-zu-Messer-und-Gabel -Projekt und schon gar dem Ratte-für-Ratte -Programm ausgelastet, sagte ihr Sprecher, der behauptete, in Winsen an der Luhe zu wohnen. Was ich nicht glaubte, weil ihm unbekannt war, daß Goethes Eckermann aus Winsen kam. Was mich aber nicht störte, da ich wußte, welche Weiterung sich zuweilen aus Name und Ortschaft ergibt.
    Ich sei sicher froh, sagte der Wortführer aus Weißderteufelwo, den unerfreulichen Abraum gegen die friedliche Ecke eingetauscht zu haben. Das sei ich, antwortete ich. Der Unterschied zwischen dem Lorenschotter und den verschütteten Lettern war größer als der zwischen Eckermann aus Winsen und Goethe aus Frankfurt. Dann möge ich bis nach Feierabend die politische Luft anhalten, sagte er, und jetzt sei zweites Frühstück.
    Ich bin dem ersten besten zweiten Frühstück, dem ich etliche Jahre

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