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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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meinem Hals. Als der Wagen wieder fährt, weiß ich, ich habe den Schuß nicht vernommen. Ich bin in alle Tiefen betäubt. Nicht in alle Tiefen. Ich höre die Schaltung und merke, wie der Wagen die Gęsia verläßt und nach Norden dreht, wo es auf dem Postenstreifen unter der Lagermauer halb wegsam zur nächsten Lagerecke geht. Für einen der letzten Ecke zu.
    Vier Mann, vier Ecken. Aber wir sind fünf. Das Lagergelände ist ein Geviert. Eine seiner Ecken wurde gerade von einem aus Winsen an der Luhe in Beschlag genommen. Ichhörte ihn husten; jetzt höre ich nur das Husten des Motors. Vier Ecken, eine vergeben, das gibt noch drei, macht dreie für vier Mann. Wie verteilt man drei Ecken an vier Männer, von denen keiner eine haben will? Was werden sie tun, wenn sie merken, sie verfügen über einen weiteren Mann und keine weitere Ecke? Werden sie, damit die Rechnung stimmt, vorher zweie über den Haufen schießen? Oder drei?
    Wagenhalt, Tür vorn, Tür hinten, ein Schlag der hinteren Tür, anschwellender Motorlärm, wann schlägt der nächste Schuß? Wieder Schritte gedacht und Schritte gezählt, wieder Blei im Ohr und im Herzen. Aber nicht im Kopf. Vorn steigt einer zu, der Wagen dreht in neue Richtung. Zwischen nördlicher Lagermauer und Milastraße geht es nach Osten; gegen Ende wird die Lagermauer Magazinmauer und danach Gefängnismauer und einem von uns Friedhofsmauer. Einem oder zweien oder dreien.
    Allen dreien muß es gelten, denn hinter der Kehre wären wir wieder an der Gęsiastraße. Dort verlaufen Gleise, dort verliert die Wüste an Unendlichkeit, dort sind Zeugen, dort kann keiner einen ohne Not über den Haufen schießen. Bis dort muß es erledigt sein. Jetzt ist Zeit zu schreien. Vielleicht hört es der Posten im Turm; der weiß, daß man bez koniecznej potrzeby nicht schießen darf. Vielleicht hört es Herr Fasolka, der den Posten aus Pułtusk nicht leiden kann. Vielleicht hört mich ein Schließer dort, wo die Gęsiówka noch Gefängnis ist. Vielleicht hört mich der Okarinaspieler überm Fluß und kommt, sein Gefäß zu retten. – Kaum dachte ich dies und bedachte dann, wie sich der Mann jenseits des Flusses verhalten hatte, da unterließ ich alles Schreien. Auch hielt der Eisenkarren an, alle Türen schlugen, alle Pleuel stampften, und ich merkte meine Zähne in meiner Faust.
    Dann schwenkte das Vehikel nach Süden, Zamenhofstraße und Gęsiastraße zu. Mit mir an Bord. Der Junge hat den Jungen aufgespart; es soll dem eine Lehre sein. Es ist mir eine, was fange ich mit ihr an? Die Fuhre wird schneller, weil der Weg besser wird. Sie wird auch schneller gebremst; der Fahrer taugt nichts. Der Schütze, der mir zum Mörder taugt, schlägt gegen das Blech. Ich trete aus dem Verschlag, gehe an den Verschlägen vorbei, bin zu alt, zurück zur vorderen Wagenwand zu sehen.Alt wie mein Tod steige ich aus dem Wagen, des Befehls gewärtig, über die Straße und in die nächsten Hügel zu fliehen. An Geröll ist kein Mangel; endlos ist es, wie gesagt, und wie gesagt ist dies mein Ende.
    Fähnrich und Fahrer stehen zu meinem Empfang bereit. Und zu meinem Abschied. Sie müssen zuerst noch rauchen. Sie sind zu jung, mir vom Tabak anzubieten. Sie sind nicht zu jung, mich totzuschießen, aber sie sind zu jung, ihren Spaß zu verbergen. Der Auspuff überdröhnt ihr Gespräch; ich sehe ihr Grinsen. Es läßt nur nach, wenn sie ernsthaft an ihren Zigaretten ziehen. Was gibt es zu grinsen? Ich bestehe auf Ernst, wo man mich umbringen will.
    Ihre Heiterkeit bringt mich auf. Und bringt mich auf den Gedanken, ihnen an den Hals zu springen. Der Fähnrich scheint zufrieden mit sich, aber von mir könnte er, entspränge ich ihm, nicht sagen, ich sei ohne Not gesprungen. Ich spränge aus großer Not. Ein Fluchtversuch wird von mir verlangt; wohin, ist nicht gesagt. Springe ich den Fähnrich an, heißt es Flucht nach vorn.
    Vor Wochen wäre an Springen nicht zu denken gewesen. Aber nun habe ich vom Schweinefleisch der deutschen Wehrmacht genossen. Habe mit deutschen Zuckersäcken hantiert. Habe kanadischen Speck gewuchtet und nordischen Hering tonnenweise. Ich werfe hundert amerikanische Pfunde Maismehl mit zwei Händen und einem Ruck auf meine volljährige Schulter. Ich stemme leichthin Papier und Blei und anderes gewichtige Zubehör zum graphischen Gewerbe. Ich bin jung, und springe ich nicht, bin ich tot.
    Also, denke ich. Das füllt meinen Kopf. So bleibt kein Raum, nach anderem zu fragen. Ich frage nicht: Was, wenn du den

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