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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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hat, nicht zuletzt vom Charakter der Arbeit abhängt.
    Gewillt, mich meiner anzunehmen, nahm ich eine Beschäftigung wieder auf, die einfach war. Ich bückte mich und füllte die Loren mit dem, was sich noch fand von dem Platz, der den Juden Europas als Ghetto hatte dienen müssen. Als Wohnbezirk, der dank des reichsbahnamtlichen Umschlagplatzes nicht überlief und von dem einige Baracken überlebten. Als es auf ihm nichts mehr umzuschlagen gab, taugte das Gelände nur noch, im Wort Umschlagplatz den deutschen Namen hochzuhalten und mir Arbeitsplatz zu sein.
    Ich war gerade versucht, meinen Griffen in den Staub etwasvom Schwung dieses Gedankens zu leihen, als auf der Gęsia die Grüne Minna erschien. Aus dem Fahrerhaus sprang, noch ehe der Wagen richtig hielt, jene fähnrichshohe Aufsichtsperson, die sich bewähren sollte, weil sie ohne Not zwei Beaufsichtigte erschossen hatte. Auch Herr Fasolka entstieg der Kabine und folgte dem Offiziersaspiranten, der seine Maschinenpistole durchlud und aufrecht über die geräumte Parzelle schritt. Er hielt Kurs dorthin, wo sich die ehemaligen Mitarbeiter des Kombinats für die Resortierung versprengter Güter Mühe gaben, den Landgewinn ein wenig zu erweitern.
    Der Bewaffnete, von dem bekannt war, wie einschneidend er ohne Not zu handeln wußte, winkte dem Ältesten, winkte Bayern, Sachsen und Niedersachsen, winkte ebenso mir und tat es mit dem Schießgewehr. Gern hätte ich gefragt, ob es gesichert sei. Noch lieber, was sein Begehr. Ungefragt antwortete er. Er sprach das Studentendeutsch, an das ich in Polens spannenden Augenblicken nicht selten geriet.
    »Man wird Sie in ein Automobil verladen«, sagte der Fähnrich und wies mit seinem Eisen auf den Karren, mit dem ich vor Zeiten ins Lager eingefahren war. »Sie werden noch einmal das Terrain bereisen, das außen so wüst ausschaut, wie Sie persönlich innen. Sie werden das Quartier umrunden, in dem es Ihnen zu gut gegangen ist. Man wird ab und an halten nach einer gewissen Beliebigkeit. Sie werden dort gehen, wo man Sie weist. Sind Sie so weit geschritten, daß man denkt, Sie wollen entfliehen, macht man Gebrauch von seiner Konzession und erschießt Sie. Wollen Sie bitte das Auto betreten.«
    Wie das Land als eines der unbegrenzten Möglichkeiten galt, gehörte die ulica Gęsia dazu. Ich wußte, wer ohne Not zweie erschossen hatte, konnte sich leicht auf Dauerfeuer schalten. Mit dem Gedanken, er und ich seien im selben Alter, hielt ich mich nicht auf.
    Weil der Fähnrich sich auf Gleichaltrige verstand, schickte er mich als ersten in den Wagen. Ich solle die letzte Kammer betreten und fest die Türe schließen, sagte er. Ich tat es, nicht ohne in halber Hoffnung zur vorderen Wagenwand zu sehen. Doch zeigte sich im Lämpchenlicht niemand, dessen Herz ich hätte erreichen können.
    Meine Kompagnons stiegen ein und schlossen sich in die Zellen. Am Husten erkannte ich den Brigadier. Ich hätte ihm gern gesagt, daß ich ihm sein Winsen glauben wolle. Doch begann, was letzte Fahrt wohl hieß. Die Hecktür fiel ins Schloß, die Beifahrertür auch. Der erste Zündversuch brachte nichts; mit Wiederholungen ging es ähnlich. Der Gedanke lag nahe: Keine Zündung, kein Start, keine Fahrt; sie werden keinen erschießen können. – Die Zündung erfolgte; wir fuhren, dem Erschießen stand nichts mehr im Weg.
    Die Fahrt, mit der ich enden soll, geht unter der Lagermauer nach Westsüdwest – gegen alle Hoffnung auf Ohnmacht schreibt mir mein widerlicher Orientierungssinn die Route in den Kopf. Der Wagen kriecht wie nachtblind durch den Rest der Gęsia. Geht es so fort, kommen wir wegen des Motors Überhitzung davon. Schon wird es kalt, der Wagen hält, Türen schlagen; man holt als ersten den Winsener, der als letzter eingestiegen ist. Wieviel Schritte, bis der Posten glauben darf, er wolle fliehen? Wieviel Schritte für den Nachbarn von Johann Peter Eckermann? Ich zähle und versuche, langsam zu sein. Durch Geröll steigt man mühselig, und hier hat die Kolonne noch nichts von der Unendlichkeit abgetragen. Der Posten ist als Schütze ausgewiesen; wann schießt er ohne alle Not den Winsener tot? Und wann bez koniecznej potrzeby den nächsten? Und wann den nächsten? Und wann den nächsten? Und wann den nächsten, also mich?
    Bin ich starr vor Angst, bin ich taub vor Angst? Ich höre nicht, was sich tut. Aber ich höre den Motor und ab und an den Auspuff, weil der Fahrer ab und an aufs Gaspedal trampelt, und ab und an höre ich das Herz in

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