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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Besoffenheit die Partisanenpistole zog und dabei stets sein Taschenfutter von innen nach außen kehrte, rief den Vorarbeiter und mich in sein Büro und sagte, wir bekämen einen neuen Mitarbeiter; einen neuen Wachtposten bekämen wir auch. Soweit er gehört habe, spreche der neue Mitarbeiter deutsch und polnisch. Der neue Posten, der ein Fähnrich sei, spreche polnisch und deutsch, am liebsten aber spreche er Maschinenpistole. Er habe im Gefängnis von Pułtusk ohne Not – bez koniecznej potrzeby , sagte Herr Fasolka, als komme es auf die Abwesenheit von Not vor allem an – zwei Gefangene erschossen und solle sich bewähren. Der neue Mitarbeiter sei ein alter Gefangener, der sich vermutlich ebenfalls bewähren solle. Wir wüßten wohl, wie wir uns verhalten müßten.
    Das wußten wir nicht. Oder wir hielten uns nicht daran. Wir gaben uns nicht einmal Mühe, den deutsch wie polnisch sprechenden Mann nach Woher und Wohin zu fragen. Wirfütterten ihn, weil er aussah, als habe er tausend Tage nicht gegessen. Wir bedrängten ihn nicht, weil wir sahen, er wurde seit tausend Tagen bedrängt. Er solle hier arbeiten, sagte er; nicht einmal eine Geschichte hatten sie ihm eingetrichtert. Aber seine Geschichte stand ihm im Gesicht. Nicht Vorurteil, Erfahrung läßt mich sagen: Der neue Mitarbeiter hatte die Augen eines Lügners; doch, die gibt es. Er hatte die Haltung eines Sklaven; die gibt es auch. Und er hatte die Stimme eines Ausgelöschten; die gibt es schon gar. Seine Eindeutigkeit war ein wenig beleidigend.
    Wir glichen das aus, indem wir uns beleidigend dumm verhielten. Wir blieben der Gepflogenheit treu, auch wenn die Beute nun für sechse reichen mußte. Die Bauern Job und Alexander schlieften am nämlichen Tag, an dem das Trüffelschwein erschienen war, mit passendem Gestein in den Keller, schnitten am nämlichen Mittag 850 Gramm Wehrmachts-Schweinefleisch in den Fouragekübel, zerkleinerten die Dose, klopften sie am nämlichen Tag dort in den Boden, wo schon manche ihresgleichen ruhte, füllten der erweiterten Brigade vom Kombinat für die Resortierung versprengter Güter die Kochgeschirre und besprachen im Stil aller Tage die Weise, in der ihre bayerischen Gattinnen, die, des magst woll glaum, als vorzügliche Köchinnen galten, dahoam in derrer Heimoat mit Muskat und Lorbeer umgegangen waren.
    Das Trüffelschwein verzehrte seinen Anteil, der sich unter anderem auf 141,66 Gramm Schweinefleisch aus Beständen der Deutschen Wehrmacht belief, schwatzte dabei nicht, schmatzte nur, glotzte wie eines, dem Muskat und Lorbeer hochgelegene Vokabeln sind, rülpste beim Schmaus, was leider nicht nur Trüffelschweine tun, grunzte Dank, als ihm der Pseudo-Winsener zu rauchen gab, furzte ausführlich, weil es doch die Unschuld aus Pułtusk war, und schien rundum erleichtert. – Zu unserer Entschuldigung: Vielleicht schlossen wir aus der Gier, mit der dieser Mensch seine Mahlzeit schlang, er werde sein Maul zu anderem nicht öffnen. Oder wir hatten vergessen, was alles auf manche Art Gefangene zielt.

8
    Wir sahen den Kerl nicht wieder, doch uns sahen wir anderntags im Schutt vorm Tor. Falls meine Kameraden in mir den erkannten, der ihnen Schulter an Schulter mit zwei Handwerksburschensozialisten und einem Boger-Schaukel-Spezialisten zur Tarifhoheit verholfen hatte, ließen sie davon nichts merken. Vielmehr war es, als sei endlich der Hauptfeind am Gleis eingetroffen. In unserer Gestalt. Was heißt, in unserer? In meiner erschien er. Zwar kriegten die bayerischen Bauern sowie der Kommis aus Kamenz und unser Sprecher, der weder aus Winsen noch von der Luhe kam, ihr Fett, weil sie nun – ja, ja, so drückten sich meine Kameraden bei gedrosselter Lautstärke aus –, Judenstaub schlucken durften, Arbeit macht frei, jedem das Seine, aber als Gemme galt ihnen ich.
    Schließlich war ich der bußfertige Bengel, der einen Zusammenhang zwischen sich und dem Schotter zu sehen meinte. Der zu den toten Juden übergelaufen war und nun sah, wie die ihm zahlten. Aber gewiß doch, dem sollte am Lorengleis Gelegenheit werden, sich Stein für Stein und Asche zu Asche seiner Mischpoche zu verbandeln.
    Weil es nicht neu war, hielt sich meine Angst in Grenzen. Ich mußte nur sehen, daß ich den Fuß zeitig von der Schiene nahm, wenn ein Wagen in meine Richtung rollte. Ich mußte eben auf jeden achten, der Seit an Seit mit mir die Karren schob. Ich mußte einfach wissen, daß das Maß der Menschwerdung des Affen, an welcher die Arbeit einen Anteil

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