Okarina: Roman (German Edition)
geschultes Auge und beriet mich ein zweites Mal in einer Kleiderfrage, die sich aus dem gleichen Kleidungsstück wie beim ersten Mal ergab. In dieser Hose, sagte sie und klang mehr nach armiertem Befehl als nach ziviler Beratung, werde sie mich nicht in dieses Marne fahren lassen. Dort, wenn sie den Adler sähen, setzten sie das Hakenkreuz hinzu. Doch sei mein Auftrag nicht, für einen Auflauf dieser Art zu sorgen.
»Auftrag?« rief der Oberleutnant und wollte wohl Frau Danuta an die Ansicht erinnern, ich solle meiner Geschichte wegen keinen Auftrag bekommen. Von einem blinden, blonden und frechen Stück Scheiße sagte er nichts. Vielleicht weil wir Abschied hatten, aber geklungen hat er danach.
»Was den Auftrag angeht«, sagte der Berliner, »hatten wir keinen ausgearbeitet: Weil wir der Ansicht waren, dieser Freund werde als einer der Letzten das Lager verlassen. Auf freiwilliger Basis und im neuen Geist, der von hier bis zur Oder-Neiße-Grenze reicht. Und weit darüber hinaus, Genossen. Aber manche werden eben krank. Na schön, da fahren sie nach Westen und werden bei ihrer Ortskrankenkasse vorstellig. Dein Pech, junger Mann, für die Letzten ist ein Abschluß mit Pauken und Trompeten geplant.«
Dem Buchenwalder, der nach seiner Überprüfung heimkehren sollte, schien zu mißfallen, wie sein Börgermoor-Gefährte sprach. Er hatte wenig Mühe, einem Gedanken Gestaltzu geben, und der Gedanke war freundlich und von untadeliger Gestalt. Bis auf den Schluß. Im Grunde gab auch der Schluß zum Tadel keinen Anlaß. Aber zu Kopfzerbrechen. – Er sagte: »Ehrlich, ich dampfe lieber heute als morgen ab. Auch ohne alles Tschingdarassabum. Der richtige Zug, die richtige Richtung, ein Pfiff der Lokomotive, das reicht. Gut, eine Mundharmonika könnte nicht schaden. Oder so ein Blaseding, wie in Buchenwald einer hatte, bis ihm der Kapo draufgetreten ist. ›Scheißheimwehorgel‹, hat der Kapo gesagt, ›Scheißokarina. Bäckst dir ehm aus Lehm eine neue, du Vogel.‹«
Der Buchenwalder entschuldigte sich bei Frau Wanda und Frau Danuta. So habe aber der Kapo, der mit der Okarina, nun einmal gesprochen. Worauf der Oberleutnant rief: »Ei Donner, hat er?« Der Buchenwalder überhörte das und sah mich an, als wolle er sich auch bei mir für seinen Ausdruck entschuldigen. Endlich einmal einer, der wußte, was sich gehörte. Ich jedoch wußte des Wortes Okarina wegen nicht mehr genau, was ich von ihm halten sollte. Nur gab es heimzu anderes zu bedenken.
11
Berlin sah scheußlich aus, doch mußte ich nicht über seine Grenzen schleichen. Ich fuhr mit der S-Bahn über sie hin, und nach einiger Wirrnis fand ich den ruhigen Platz in der Druckerei von Moeller & Moeller. Ruhig nenne ich ihn, weil es dort keine Zweifel an mir gab. Selbst ich wußte, wer ich war. Auch wurde ich nicht an Geröll-Loren oder Gleise von unterschiedlicher Spurweite gebeten. An Bewegung fehlte es im Druckhaus Moeller nicht. Den Theatermenschen Gabriel Flair lernte ich dort kennen und den Stangeneisfahrer Ronald Slickmann. Zudem konnte mein Brotherr Küchenmöbel mit den Zähnen heben.
Ich war Zeuge, wie er den Tisch in die Höhe stemmte, auf dem vier Teller plus Terrine standen, in denen eine heißgüldene Bouillon unter anderen nach mir und meinem Löffel schrie. Unmerklich sind die Fettaugen gewandert, und in keinemGeschirr hat die Brühe den goldenen Rand berührt. Friedrich Moellers Frau, die wirklich Friederike hieß, sagte zum Zirkusstück ihres Mannes, sie lasse sich scheiden. Das Wort über die Lippen zu bringen, kostete sie hörbar Kraft. Als ich sie besser kannte, wußte ich, es kostete sie schon Kraft, das Wort zu denken.
Friedrich Moeller richtete sich so langsam auf, daß die Suppe darüber an Hitze verlor. Als es aus der Hocke in die Gerade ging, stützte er sich mit Druckerhänden zuerst von seinen Knien und dann von den Oberschenkeln ab. Wie er einmal stand, hob er die Arme seitlings. Ohne den Tisch im Maul und ohne die gefüllten Teller und die Schüssel darauf hätte man in ihm einen Turner sehen können, der vorm Großen Aufschwung stand. Die Doppelspanne seiner Arme entsprach der Länge des Tisches. In seinen Fingerspitzen war ein sachtes Zittern. Es werde mit der Ableitung seiner Kräfte zu tun haben, sagte ich mir. Die mochte nötig sein, um die Bouillon in Terrine und Tellern ruhig zu halten.
Später kramte ich nach den Hebelgesetzen der Kahnbugerie und versuchte, hinter die Mechanik des Kunststücks zu kommen, was jedoch nur bis
Weitere Kostenlose Bücher