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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Verästelung zu folgen, doch wie ich das Lob verstand, mit dem er mich versah, solange ihn nicht der Wodka ernüchterte, hätte es zum Ehrendoktorat der Jagiellonen-Universität gereicht.
    Selbst auf dem antifaschistischen Schemel stützte mich das Faktum, daß ich der Polygraphie-Fachowiec war, ohne den der Pole so wenig Wirtschaft wußte, daß er den Schweizerdegen von den Loren zu den Lettern holen mußte. »In Grüner Minna eingeritten, wie Gutenberg nun wohlgelitten«, raunte die Heldenmär.
    Vom Anteil des Äffischen an meiner Beziehung zur Oberleutnantin, die sich ähnlich mir während der Arbeit so ins Zeug legte, reimten sie nichts in der Gęsiówka. Es wird eine Sache von Mannesneid gewesen sein. Mir war es recht, denn so gern ich Engels’ Ansichten weiterreichte, so ungern hätte ich es mit der Beschaffenheit jener Protokollantin getan, der ich verdankte, daß ich kein weiteres Mal zu den eisernen Loren oder in den eisernen Wagen mußte. Und schon gar nicht als Stehldieb von ehemals deutschen Wehrmachtskonserven, der frech in Hosen aus ehemals deutschem Zuckersack ging, ein weiteres Mal auf Grüne-Minna-Fahrt zwischen Rakowiecka und Gęsiówka, nur dieses Mal umgekehrt: von der Gęsiówka zur Rakowiecka zurück.

10
    Hier muß eine Lücke samt deren Verursacher gemeldet werden. Was ich bislang vermied, tat ich jetzt: Ich befreite den Bericht von Ballast, der zu überwiegen begann. Eine Zensur fand statt; es ist eine Zäsur entstanden. Mir war zuviel Lager versammelt. Ich spare die Miserabilität der Baracke aus und auch das vergreiste Geschwätz, schweige von fußläppischem Witz und kraftlosem Dauerzank und streiche die Sprüche, die nicht einmal Trödel oder Krempel, sondern nur mülliges Gewölle waren.
    Es belebte sich alles, als wir unser Zirkelwesen in den Rang einer Antifa-Schule erhoben, aber der bekam es nicht, daß mehr Schulung als Lehre von ihr erwartet wurde. Ich weiß nicht, wie man es anders hätte machen sollen, aber für mich und meine hochgesteckten Erwartungen war es, als gingen wir mit abgenutzten Fibeln in den Lehrbetrieb und bekämen ein abgegriffenes Tabellenwerk ausgehändigt. Mich, der ich, wo nicht Ausbruch so doch Aufbruch beschlossen hatte, konnte es nicht befeuern, daß die neuen Regeln zuweilen wie alte Leier klangen. Genauer und gerechter, wie Regeln, die mir zwar neu, aber nach langem Gebrauch fadenscheinig waren. So ist es, wenn der jüngere Bruder vom älteren die Hosen erbt und weiß, anderer Leute neue Hosen sind wirklich neu.
    Ich wiederhole, daß es sich bei meinem Fortkommen zunächst um nichts als Fortkommen aus dem Verhältnis unterster Untrigkeit handelte. Über Tag im Kombinat für die Resortierung versprengter Güter und schon gar im Zentrum für polygraphischen Bedarf schaffte ich das, indem ich zeigte, was ein Schweizerdegen war. Am Abend, wenn ich mich als Hilfskraft im Schulungswesen nützlich machte, ging ich der Selbstbeförderung durch ständige Anwesenheit und stete Wachheit nach. Aufmerksamer hat keiner die Grundzüge der Dialektik repetiert und sämtliche Argumente sortiert, die für den Materialismus sprachen. Nie war ich in Erfurt, Gotha oder Eisenach gewesen, aber was an den Programmen von Eisenach, Gotha und Erfurt kritisiert werden mußte, studierte, außer Marx und Engels vermutlich, niemand genauer als ich. Dieser Marx und dieser Engels wie auch Lenin und Stalin wurden uns in bekömmlichen Häppchen serviert und von mir in schnellen Happsen verzehrt. Von Kautsky, Lassalle, Bernstein, Mehring, Bebel, Liebknecht dem Älteren und Liebknecht dem Jüngeren sowie von Rosa Luxemburg führte ich mir zu, was an ihnen nach Abzug der Kinderkrankheiten und Alterserscheinungen als verzehrwürdig galt. Nicht immer erschloß sich die Lehre, welche sich aus dem Gebaren von Petersburger Popen oder zaristischen Landwirtschaftsministern ergeben sollte, beziehungsweise aus weißkadettischem Zeter und Schwarzhundertschafts-Mordio historisch abzuleiten war, doch reichte ichmich in solchen Fällen an meine Innere Verwaltung für Selbstkritik weiter, der es gelang, mich von meinen bürgerlichen Eierschalen zu befreien.
    Falls wer fragt, wie ein Speicherarbeitersohn zu bürgerlichen Eierschalen habe kommen können: So fragte auch ich und bekam die Auskunft, jemandes subjektive Herkunft feie ihn nicht gegen objektive Mängel, wie umgekehrt keiner, der ohne eigenes Verschulden vom bourgeoisen Apfelbaum oder aus feudalem Adelsnest gefallen sei, für alle Zeiten von den

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