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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Vorhutsposten im Führungskader der fortgeschrittensten Klasse ausgeschlossen bleibe.
    Da ich Nennenswertes ausführlich liefere, raffe ich, was im Arbeitslager alltäglich blieb, und verbinde es mit dem Ricke-Racke-Geschichtsmühlenbetrieb, wie er der Schule eigen war, in der ich mit herzlichem Bemühn den Antifaschismus studierte: Zählappelle an Tageseinwieausgang; die Geschichte der Aufstände von Spartacus bis Spartakus; Läusekontrollen und Pritschenfehden; Siege der Dummheit und Scheitern der Gescheiten durch alle Zeiten hin; Küchengerüche, die nie wechseln, und die gleichbleibende Pflicht des Antifa-Schülers, jeglichem Gerücht beharrlich entgegenzuwirken; der antagonistische Charakter der Bauernkriege im Licht des nichtantagonistischen Charakters der Arbeiter-und-Bauern-Macht; unsere tägliche Brotration, die fast tätliche Postzensur; die Seidenweber von Lyon und die schlesischen Leineweber, die Tage der Commune, die Nächte der Kommune, die Nacht des Faschismus, der Morgen des Völkerfrühlings sowie der ewige Frieden mit einem immerwährenden Kalender, in den als historische Konstanten und persönliche Variable eingetragen sind: Der 30. Januar und mein zwanzigster, mein Weg durch die Spießruten von Łódź, Lenins April-Thesen und meine seltsame Trauer in Roosevelts letztem April, der 1. Mai und viermal Hoffnung am 8. Mai, der entsetzliche 22. Juni, der unglaubliche 20. Juli, die Bomben auf Kolo, die Rakowiecka, die Gęsiówka und der 9. November.
    Vorschlag, dies Bündel betreffend: Jedem steht frei, darauf zurückzukommen. Mir soll es ebenso freistehen, doch werde ich kaum Gebrauch davon machen. Ich will auf freien Fuß. Will dorthin, wo es hieß: Du fährst nach Haus. Es hieß nichteinfach so, sondern wurde feierlich beschlossen und unfeierlich verkündet. Allen blutigen Ernstes sagte ich, ich wolle noch nicht. Es störte mich, daß es beschlossen wurde. Bewußtseinsgestört wird man das heißen müssen. Zwar sagte ich nicht, aber dachte, ich wolle nicht mehr wohin beschlossen werden. Nicht einmal nach Hause. Ich ahnte nicht, daß es erst der Anfang derartiger Beschlüsse war. Ich hatte mich so voll Bewußtsein gepumpt, daß ich zusammen mit ähnlich Verrückten aus freien Stücken ans Ende der Schlange trat und mein Recht auf Verbleib in der Gęsiówka einforderte. Ob vorm Tor beim Kampf um Rom, ob hinterm Tor im Arbeitslager Warszawa – ich als letzter Gote oder als Schweizerdegen, der nicht nur gotische Lettern setzen und drucken konnte, ich als Tor hielt mich an die Schlachthausparole vom letzten Mann und wollte als Letzter fallen oder als Letzter nach Hause fahren.
    Gegen solche Toren sind Beschlüsse gut. Der für mich lautete: Du bist krank, du gehst nach Hause. Wodurch ich sagen kann: Ein Kollektiv-Ukas bewahrte mich davor, kurz nach der ersten mit einer zweiten Narrheit aufzuwarten. Es war Sache meines Bewußtseins, aber nicht minder eine Narrheit, daß ich aus Einsicht in die Notwendigkeit, also aus unübertrefflich freiem Willen gänzlich unverordnet meine Vertrauensposition im Kombinat für die Resortierung versprengter Güter und damit auch meine herausgehobene Funktion im Zentrum für polygraphischen Bedarf gegen ein so gut wie hauptamtliches Rad-im-Getriebe-Dasein im Antifa-Block vom Obóz Pracy Warszawa eingewechselt hatte.
    Ein Schritt, bei dem ich Aussicht gegen Ansicht tauschte. Bei Herrn Fasolka wurde ich abgemeldet und bei den Damen Wanda und Danuta, wie sie weiterhin heißen sollen, eingetragen. Statt mit der Aussicht auf Besichtigung von rodinesken Oberleutnantinnen bekam ich es mit ehernen Lehrerinnen zu tun, die nicht nur zwei- bis viermal älter als ich waren, sondern, soweit es sinnlich zuging zwischen uns, meine politstraffe Aufklärung betrieben.
    Doch weiß nicht von Freiheit, wer nicht weiß, wie es schmeckt, wenn man, selbst unter Opfern, über sich selbstbestimmt. – Opfern? Es kann dabei bleiben. Im vulgärsten Betracht handelte es sich um den Wechsel aus riskanter Nähe zu allerlei Eingesacktem, Eingetütetem, Eingedostem hinüber in eine anders riskante Versorgung, die sich an der Grundversorgung des Landes und naturgemäß an deren gründlich untersten Sätzen orientierte.
    Auch wechselte ich in ein Milieu, dessen Moden sich an den niederen Sansculotten-Stil hielten. Aus einer Szene zog ich mich zurück, in der ein Schneidermeister und ein Schneidergeselle von Adlerschnabel wie Hakenkreuz bereinigte Zuckersackbeinkleider fertigten und ihr Tun mit Sprüchen

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