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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Verhältnissen zu wissen. Wohl paßte es kaum ins Bild vom Ausbeuter, wenn mein Lohnherr sein Gebiß in gedeckte oder gedachte Tische verhakte und diese dann hob, aber mir ahnte, daß sich eine weltumspannende Theorie durch so spezielles Verhalten nicht beirren lasse.
    Wie Friedrich Moeller sich nicht durch Gabriel Flairs spezielles Verhalten beirren ließ. Er entblößte die Zähne, als halte er einen köstlich eingedeckten Tisch zwischen ihnen, ging in die Hocke und versuchte zu melden, was mit ihm geschah: »In den Knöcheln knirscht es; da muß die Kraft vorbei.«
    Doch hörte ich weniger ihn als immer noch des Besuchers Frage, die verletzend schien, obwohl sie ein alltägliches undvorerst nicht änderbares Verhältnis betraf. Meine Antwort lockerte mich: »Wird wohl stimmen, Ausbeuter und Lohnsklave. Wohingegen Sie singen, wie der Vogel singt?«
    Fast war Interesse in seinem Blick. »Dies wurde von Sinclair gültig behandelt. Die goldene Kette. Ich leihe Ihnen das Buch.«
    Wußte der Mann, oder wußte er nicht, daß solche Verheißung wirklich einen Sklaven aus mir machte? Im Rest des Lebens war ich, nahm man gewesene Affären aus, annehmbar gesetzestreu; bei Büchern nicht. Zu den politischen Leuten im Lager kam ich nicht zuletzt, weil sie zu ihren Ansichten auch anderer Leute Bücher hatten. Zur Partei ging ich, sagen wir, nicht zuletzt, weil ich mir Bücher versprach. Von deren Wert wußten wir mehr als vom Wert von Grund und Boden. – Auch deshalb, so schreibe ich hier an den Rand, stehen wir jetzt ohne Grund und Boden da. Und ohne eine Menge Bücher.
    Friedrich Moeller saß in der Hocke und tastete seine Knöchel ab, um dem Fluß der Energien zu folgen. Die Expedition führte ihn wadenaufwärts zu den Knien, von denen er bekanntgab: »Hier muß die Kraft um die Ecke. Zickzack, wenn man es bedenkt.«
    »Es geht nach den Hebelgesetzen in Ihnen zu«, sagte ich.
    Der Spruch sollte Gabriel Flair gefallen und gefiel ihm auch. Er wies auf mich und sprach zu Moeller: »Denen läßt er ihre Gültigkeit. Mathematik, Physik und Biologie gelten sehr wohl bei Ihrem Gehilfen, nicht aber die ökonomischen Regeln. Ihre Kniebeugen sind ihm erforschbar; sein Eingekrümmtsein ins Herr-und-Knecht-Verhältnis hingegen nicht.«
    »Wer krümmt sich wo als Knecht?« fragte ich, zu laut für einen, dem ein Buch versprochen worden war.
    Flair sagte: »Eine unsinnige Vermengung, zugegeben. Man kann, es sind derartige Fälle bekannt, selbst in solchem Verhältnis aufrecht sein. Also Korrektur: Nicht unabwendbar folgt aus Sklaverei auch Sklaventum.« Fraglos strafte er sich mit seinem Vorwurf ab, doch schaffte er es, mir davon abzugeben.
    Mit Flair und Moeller hatte ich zweie vor mir, die hingegeben an sich selber waren. Den einen sah ich die Leitfähigkeit seines Rückgrats prüfen; den anderen hörte ich mit Worten spielen,als seien sie Papierschiffchen und er ein Knabe am Bach. Ich war zweimal Publikum und zweimal bedienstet und hätte die beiden gern ohne meine Vermittlung auskommen lassen.
    Doch konnte Friedrich Moeller nur mir entdecken, daß die Kraft nun in seinem Genicke war und dann in den Schultern und in den Armen ganz nach vorne hin. Manchmal ließ sich dieser Gewerbetreibende nicht glauben: Hatte eigene Schriftarten entwickelt und in den Verkehr gebracht und bekam die Maulsperre bei Wörtern wie Hand oder Finger .
    »Ohne uns wärst längst vom Markt verschwunden«, sagte Friederike Moeller ab und an zu ihrem Mann, und sich und mich meinte sie mit den Kräften, die ihn auf dem Markte hielten. Sie versah Kasse und Bücher und ging zu Amt und Bank. Während ihr Mann den Setztisch und das Büro im Nebenzug der Friedrichstraße für wirtschaftliche Hauptstücke ansah, las sie Life und Kommerzialschriften, in denen sich wirkliche Macht aussprach. Sie sagte, ein Vogel müsse wissen, wie die Katze schnurrt, und beim Frühstück über der Zeitung ließ sie die Firma hören, was die Börse von Anaconda Copper und Ciba-Geigy hielt.
    Mich aber erreichten Wörter wie Akquisition oder Merger trotz meiner hohen Benotung durch Frau Moeller nur mit ihren Farben, nicht mit Werten. Der Platz im Kopf, an dem solche Notizen entschlüsselt werden, war lange unbesetzt bei mir. Es hat sich erst geändert, als ich an einen Lehrer und Historiker geriet, der den Weltverlauf nach Kassenstürzen periodisierte. Dem Mann ist es gelungen, einen Dogmatiker aus mir zu machen, soweit es diese Ansicht betraf.
    Mit Moellers Einsicht ins Wirtschaftswesen

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