Okarina: Roman (German Edition)
zu den Hebel-und-Wellrad-Maschinen gedieh. Zu denen Friedrich Moeller nicht zu zählen war. Ich befaßte mich probehalber mit einem Tischchen, aber als ich meinte, ich müsse meine Schneidezähne in ihm lassen, gab ich es auf. An der Unterkante hat das Holz nach älterem Wischlappen geschmeckt.
Herr Moeller konnte mit Auskunft nicht dienen. Von Kräfteparallelogrammen wollte er sowenig wie vom Umgang mit Kunden wissen. Wer sich auskannte im Druckhaus, hielt sich an Frau Moeller oder an mich. Wenn der Besitzer ein Problem hatte, nahm er nichts anderes in sich auf. Als Gabriel Flair die Programmhefte für sein Theater bestellen wollte, hatte mein Chef wieder einmal das Problem, eine Kunst nicht benennen zu können, die er völlig beherrschte. Worin er, auch wenn ich den Gedanken unerlaubt fand, dem Buchenwalder ähnelte, der Bogers Marterfiguren vorführen, aber nicht beschreiben konnte.
»Wenn es in den Sohlen losgeht, fängt es unten an«, sagtemein Chef und war so mit einem pantomimisch dargestellten Tisch beschäftigt, daß er den Gruß des Kunden nicht wahrnahm und vergrübelt fortfuhr: »Aber ob nicht erst die Zähne? Die sind am wichtigsten, nur, ohne Füße können sie nicht. Siehst du Grund?«
»Es wird wie bei Archimedes sein«, warf ich in Herrn Moellers forschende Übung ein.
»Bei dem?« sagte er und hielt den vorgestellten Tisch mit Händen, um seinen Mund fürs Theoretische frei zu haben. Ich sah ihm zu und hörte hinter mir ein Räuspern. Zum ersten Mal in meinem Leben vernahm ich den berühmten Auftrittslaut des Gabriel Flair. Ich wollte dem zunächst unbekannten Kunden sagen, wir beredeten schwierige Angelegenheiten, aber nach einem zweiten Blick wußte ich, wer uns ins Büro getreten war.
»Es ist Herr Gabriel Flair«, sagte ich zu meinem problemverlorenen Arbeitgeber. »Herr Flair schreibt dramatische Stücke. Und Artikel in der Zeitung. Mit seinem Bild. Meistens über das Theater, bei dem er beschäftigt ist. Letztens hat er geschrieben, die Bretter bedeuten nicht die Welt, sondern sind diese. – Da gehe ich an meinen Stehsatz.«
Doch Herr Moeller überhörte meine gebündelten Nachrichten und wollte wissen, was mit Archimedes sei.
»Das mit dem Punkt, den er braucht, um die Welt aus den Angeln zu heben«, sagte ich und schielte nach Gabriel Flair. Wie er dastand, verbot es sich, von meiner Stakstangen-Theorie etwas mitzuteilen. Der Dramaturg verschränkte die Arme, verschränkte weitgehend die Beine und ließ sich überraschend bestimmt vernehmen: »Wenn es nicht geheim ist, höre ich zu. Ich habe diese Dinge nie begriffen.«
Mir war es nicht geheuer, vor jemandem etwas zu bereden, der sich auf die Künste verstand. Aber Herr Moeller posierte, als seien zweihundert Kilo aufgelegt. Sein Schnaufen besagte, daß er meine Erklärung erwarte, also mußte ich fragen: »Los geht es in Ihren Sohlen? Setzen Sie die gleichmäßig auf oder verlagern Sie Ihre Kräfte? In die Zehen, in die Ballen, in den Fersenbereich?«
»Ich verteile mich nicht in meinen Füßen«, sagte FriedrichMoeller und wußte nach wie vor mit gequetschten Lauten den nur erdachten Tisch zu malen, der ihm hinderlich zwischen den Zähnen steckte: »Ich setze sie, damit sie einen Halt haben. Wenn es unten wackelt, klirrt es oben.«
»Vorzüglich gesehen, verständlich formuliert«, sagte Gabriel Flair. »Wohin geht Ihre Untersuchung fort? Von den Füßen aufwärts gibt es Möglichkeiten. Wollen Sie prüfungshalber von den Zehen bis zu den Zähnen? Und was wäre der Sinn der Erhebung?«
Obwohl der Hauptinhaber von Moeller & Moeller knurrte, fragte ich den Kunden, der eine hauptstädtische Theatergröße war, ob er etwas abholen oder bringen wolle. Eine Tugend unseres Hauses sei dessen Gründlichkeit, sagte ich; die gehe aber in die Zeit.
»Und ins Honorar vermutlich«, sagte Flair. – »Es wird eine Besprechung nötig. Ich kann warten und kibitze dabei in Ihrem Seminar. Ist es eine neue Art des Umgangs zwischen Ausbeuter und Lohnsklaven?«
Seine Frage war mir als meine Frage hinlänglich bekannt. Zwar ließ ich mich nicht zu sehr mit ihr ein, aber sie hielt sich stets in meiner Nähe. Herrn Moellers Sklave konnte ich kaum heißen, doch führte er sich in aller Unschuld auf, als habe er meine Arbeitskraft nicht nur wohlfeil erworben, sondern müsse, um nichts zu verschenken, immer wieder ihre Grenzen suchen. So gesehen war es ein Nachteil, seit meinem polnischen Umgang mit deutschen und russischen Broschüren von ökonomischen
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