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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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mußte es einmal anders gewesen sein, denn nicht seine Frau, sondern er hatte das Geschäft gegründet. Sie kam aus Pommern nach Berlin, als er schon nach seinem Umzug aus Winsen an der Luhe, ja, jenem Winsen, jener Eckermann-Stadt, die Offizin eröffnet hatte. Über dem stets gut sortierten Imbiß beteiligte sie uns am Auf und Ab bei Hispano Suiza oder Boehringer, und die Gemeinsamkeit, in die wir mit denen verhäkelt waren, hieß Friederike Moeller zufolge der Markt. Der Herr im Hause Moeller bewies mit umständlichen Fragen, daß er nicht nur Artist undDrucker, sondern ein altgedienter und durchtriebener Geschäftsmann war.
    Doch fiel es leicht, an seine Einfältigkeit zu glauben, als er sich vor Gabriel Flair und mir als stammelnder Laokoon aufführte. Sein Schauspiel war bis dort gediehen, wo es galt, sich mit dem gedachten Tisch im Maule aufzurichten. Seine Füße brauchten sehr, wonach schon Archimedes gerufen hatte; die Wadenmuskeln spannten unter den Hosenbeinen; in den Knien und Gelenken erfolgte kraftumsetzende Schaltung; die Wirbelsäule wurde äußerst geprüft, und seine Arme schrägten sich wie Ankerseile, um für die Balance von Körper und eingebildetem Tisch zu sorgen. Herr Moeller wußte seinen Hebeakt derart anzudeuten, daß ihm Hals und Stirn anschwollen. Aber das Wort fand er nicht, das ihn als komplizierten Kran beschrieb. Wie er da stotternd in sich verknotet war, mußte mir Flairs Gegenwart hochpeinlich sein.
    Aber Gabriel Flair, Abgesandter, Autor und leitender Dramaturg des Neuzeittheaters, sah mit Interesse den Figuren zu, die mein Chef mir drehte. Zu Moellers Befund, der das Genick betraf und besagte, wenn schon Archimedes, dann hier, nickte er in kühler Anatomenart.
    »Wir sind gleich fertig«, rief ich entschieden zu eifrig und versicherte dem Besucher, der nicht nur Kunde, sondern, soweit ich mich darauf verstand, vor allem Künstler war, Herr Moeller könne wirklich, was er im Augenblick nur andeute. Auch sehe es mit einem richtigen Tisch weniger komisch aus.
    »Sie müssen mir Theater nicht erklären«, hörte ich. »Aber warum ängstigt Sie der Gedanke, es könnte Ihr Unternehmer bei mir in schiefes Licht geraten? Zahlt er Ihnen ein Extra fürs Verbrämen? Machen Sie ihm das apologetische Mundstück? Oder sind Sie vom Vater der Sohn? Dann bäte ich um Verzeihung.«
    Er konnte aber an Vater und Sohn nicht glauben, denn ich hatte Friedrich Moeller angeredet, wie es sich zum Verhältnis zwischen uns gehörte. Was welches Verhältnis war? Ein patriarchalisches? Das durfte mir nicht behagen, weil Patriarchat mit Sklaverei in Verwandtschaft stand. In der hatte mich Gabriel Flair vermutet und mir Namen gegeben, die ich nichtwollte. Er hatte es wohl im Glauben getan, im Hause Moeller herrsche Stammeln vor. Wie kam der Mann zu seinem Hohn, wo wir uns erst seit Minuten kannten?
    »Wie Sie sehen, ist Herr Moeller beschäftigt«, sagte ich und hielt mich bei kurzen Sätzen. »Wie Sie weiter sehen, ist Frau Moeller nicht da. Wie ich ahne, wollen Sie etwas arbeiten lassen. Frau Moeller und Herr Moeller haben ihre Gebiete; die Arbeit dazwischen mache ich. Aber ich rühre mich für keinen, der apologetisches Mundstück auf mich sagt.«
    »Sie würden mich bestreiken?« fragte der Dichter Flair und hörte sich begeistert an. »Oder boykottieren? Lassen Sie sehen: Verweigern Sie die Arbeit, ist es Streik. Bei den Inhabern wärs Boykott. Es wechselt mit dem sozialen Punkt, an dem Sie sich vermuten. Meine Gegenmittel müßten dem entsprechen. Ein streikender Arbeiter, was könnte ich machen, ein boykottierender Geschäftsführer kriegte Saures von mir. Begriffliche Klarheit tut not. Die Begriffe wechseln, nicht die Verhältnisse. Ihr Verhältnis ist, was es ist, aber entsprechend dem, wozu Sie sich erklären, muß ich mich verhalten. Eine verwerfliche Subjektivität hat die Oberhand. Definieren Sie sich, und ich streiche das apologetische Mundstück.«
    Es schien nicht ganz das gute Geschäft, als das er es klingen ließ. Da war Herr Moeller nützlich, der seine Forschungen beendete, indem er den simulierten Tisch landete, als gelte es, jegliches Löffelrutschen und Brüheschwappen zu vermeiden. Er schüttelte seine Muskeln aus und stöhnte wie einer, der mit Not über den Berg gekommen ist: »Aufmalen müßte man es. Die Anatomie und wie es unten los geht bis hoch. Archimedes.«
    Für den Tag war er verloren. Er würde dem Wirken des Flaschenzuges in seinem Körper nachfragen; da konnte ich die

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