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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Geschäfte versehen. Ohne mich, dachte ich im Tonfall von Frau Moeller, wärst längst vom Markt verschwunden! Es war gut, daß Flair mich nicht lesen konnte. Er hätte mir meine soziale Ungereimtheit eingerieben. Zwar verstand ich nicht, warum mich das bei jemandem bedrückte, den ich nur von Zeitungsbildern kannte, aber des Geländevorteils wegen schlug ich vor, sein Anliegen im Kabinett zu bereden.
    Ich nahm meine Jacke vom Haken und ging vor dem Theatermannin den Nebenraum. Wenn er mich nicht lesen konnte, ich konnte es ganz gut mit ihm. Er fragte sich, ob es in Ordnung sei, mir den Vortritt zu lassen. Als das geklärt war, folgte er mir und rief: »Ein Kabinett haben Sie, ja, da geh her!« – Doch wie er das Abzeichen an meiner Jacke sah, sagte er: »Mon Dieu, das auch noch!«
    Gemeint war das Emblem, mit dem ich mich als Parteimitglied zu erkennen gab. Ein Zeichen, mit dem man gestand, in der anstrengenden Organisation zu sein. Eines, das besagte, sein Träger zähle zu deren frecheren Teilen. Vermutlich gab es ein Traktat zu dem emailliert-metallenen Gegenstand, den wir im Klassenkampf zu tragen hatten. Ich sah es nicht, doch beweist das nichts. Ich kam mit dem Schriftlichen meiner Partei nicht zurecht. Es schien ein Ehrgeiz der Verfasser zu sein, nicht durch Neuheit aufzufallen.
    Doch beim Abzeichen zu bleiben: Tod unter Blicken konnte sterben, wer in Berlins öffentlichen Verkehrsmitteln den zweckdienlichen Hinweis trug. Ein Freund entfernte sich, als ich ihm mit meiner neuartig belasteten Jacke unter die Augen trat. Die Röcke zählte ich nicht, an die ich nicht gelangte, weil ich im parteilichen Rock wie unter Laurins Kappe verschwand. Es galt als natürlich, uns nicht zu mögen.
    Auch wenn ich mich selten versteckte, stimmt doch, daß ich mit der Einfallskraft, die ich auf die Suche nach Gründen wandte, um das kämpferische Ding von Zeit zu Zeit und, bei Gott, wirklich nur auf Zeit, von meinem Gewand zu entfernen, einen faktenreichen Aufsatz hätte anfertigen können. – Ende des Großeinschubs; Fortsetzung der Erzählung.

12
    Ich hatte die Jacke auf den Bügel getan, und wir saßen gerade, als ein junger Kerl ohne anzuklopfen in den Verschlag kam. Auf seiner handtuchgepolsterten Schulter trug er einen Eisbarren. Ich sagte, wir hätten kein Kühleis bestellt; er antwortete, es sei wegen der Konspiration.
    Weil ich das Wort, das ich aus Räuberromanen kannte, zum ersten Mal gesprochen hörte, schlug ich es am Abend bei Wilhelm Liebknecht nach und lachte über die Auskunft: »Verschwörung, geheime revol. (polit. und organis.) Tätigkeit, insbes. e. Partei«. Denn mit Revolution und Partei hatte es wenig zu tun, daß Ronald Slickmann in der wasserdichten Abteilung seines Wagens technisches Material jeder Art aus dem handelstüchtigen Westen zu bedürftigen Firmen des Ostens brachte. Zum Beispiel zur Fa. Moeller & Moeller, Kunstdruckerei und Kontorwaren.
    Der Bote, der seinen Barren wie Wilhelm Tell die Armbrust geschultert hielt, sagte nach Blicken auf Flair und mich, er suche den Chef. An dem sei er eben vorbei, antwortete ich. Doch dürfe man ihn bei Berechnungen nicht stören. Auch unterhalte er keine Kneipe und brauche den Zapfen nicht.
    Von einem Zettel las der Lieferant, eine Frau Moeller habe gewisse Mengen von gewissen Waren geordert, und das Eis gebe es gratis. Dann fragte er, ob die Jacke auf dem Bügel etwa meine sei.
    »Warum: etwa?«
    »Wegen dem Abzeichen.«
    »Wegen des Abzeichens?«
    »Wegen des Abzeichens, jawohl, mein Herr. Was dieses angeht, trifft man es gewöhnlich nicht beim privaten Krauter. Bei unseren Kunden sowieso nicht.« – Er gab mir die Hand, sagte, Ronald Slickmann sei sein Name, und gab, wie es der Brauch der Stunde wollte, auch Gabriel Flair die Hand.
    Der rückte seinen Stuhl so, daß er uns im Auge hatte, und er tat es erkennbar, damit wir sähen, er habe uns im Auge. Der Eismann setzte den Barren in den Ausguß und fragte: »Kommst du mit für den Rest?«
    Friedrich Moeller war innig mit einer Zeichnung beschäftigt. Ich folgte Slickmann die Treppen hinunter. Vor dem Haus stand ein einspänniges Fuhrwerk. Das Pferd schien schon alt. Auf den getünchten Flanken des Wagens, einer Bretterbude auf Rädern, stand mit Teerfarbe Josef Stalinski – Kühleis en gros & en detail.
    »Im Ernst?« fragte ich, und der Bote sagte: »Im Ernst. Soheißt er. Wegen dem Namen, wegen des Namens hat man mit ihm zu reden versucht. Er steht auf dem Standpunkt, daß er schon länger so

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