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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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verheiratete Tanten. Auf deren Gatten hätte die Bezeichnung Kerle viel mehr als auf mich gepaßt, und von Berliner Importen hielten sie nichts. Weil die neue Frau von Jochen Bantzers Vater uns die Bissen in den Mund zählte, vermutete ich in ihr die Autorin der Keulenweisheit. Ich sprach es nicht aus; es wäre vertan gewesen.
    Auch im Jüterboger Stadtkeller wehte ein Wind wie über den österlichen Fläming-Äckern, und Jochen Bantzer behauptete, alles wäre anders gekommen, hätte die schöne Fedia nicht zur Konfirmation gemußt. Oder hätte gewußt, daß Bantzer in Jüterbog weile. Als ich fragte, warum er ihr das nicht sage, erfuhr ich, in Jüterbog seien Konfirmationen tabu wie die Mannbarkeitsfeiern bei den Pygmäen. Oder wie sizilianische Totenmessen. Je länger er redete, umso deutlicher sah ich, auch wenn ich wußte, daß Jochen fast immer log, graue Gemächer vor mir, in denen zwergische Verwandte eine junge Frau in ungeheuerliche Riten zwangen.
    Obwohl es so kommen mußte, glaubte ich mich nicht, als ich mich fragen hörte, wo diese Fedia wohne. Und mich sagen hörte, ich wolle sie holen. Das fanden sie gut im Stadtkeller zuJüterbog: Ein wildfremder Berliner schleppt Fedia aus einer Jüterboger Geselligkeit ab. Einfach, indem er sie um ihre Begleitung bittet. In Keulenstadt, wo sie sich an Schlagetotsprüche halten. Zu Ostern, da ringsherum und in allen Herzen nichts als nasser und niederster Fläming herrscht.
    Weil sie neben der Keule aufgewachsen waren, spotteten sie mit grellen Worten meines Abgangs. Man werde mich nicht wieder sehen. Im Konfirmationshaus würden sie den Hundefänger rufen und mich diesem übergeben. Der werde mich auf Flämingwege bringen, die durch nasse Wiesen und kahle Heide nach Berlin führten. Irgendwo zwischen Zossen und Teltow warteten Sümpfe, und am Parteiabzeichen werde man mich identifizieren, wenn man mich eines fernen Tages aus diesen Sümpfen ziehe.
    Der Abzeichenspott war ein Extra, das mich extrazornig in die fremde Feier trieb. Ich kam in ein feuchtes Haus in einer krummen Straße. An den Flurwänden behaupteten sich Inseln aus Ölfarbe, und erste Tür rechts sang eine vornehmlich weibliche Gesellschaft von den Nordseewellen. Als ich eintrat, zerbröselte ihnen die zweite Strophe. Ich stand unbekannt mit dem bekannten Abzeichen in der Guten Stube; zwei Frauen beharrten noch auf zwei Zeilen, dann war Stille. Sie sahen mich an wie einen, der gleich ein Gedicht aufsagen wird, das sie leiden mögen.
    Ich fragte, ob Fräulein Fedia anwesend sei, und zwei Dutzend Verräterinnen wiesen auf ein Mädchen, das nicht in mein Jüterbog-Bild paßte. Ich sprach mit einer Festigkeit, die ich seither selten zuwege brachte, ich komme auf Empfehlung ihrer Freunde, die sie bäten, mich in den Stadtkeller zu begleiten. In mir blieb eben noch die Kraft, mich zu fragen, warum ich nicht tot umfiel dabei.
    Fedias Lachen war tröstlich wie eine chinesische Seidenschnur. Aber die Mütter anderer Töchter rieten ihr im Kupplerinnenchor, sie solle gehen; den Abwasch schaffe man auch ohne sie. Das entschied. Ich hörte ohne allen Glauben, sie wolle nur ihre Jacke holen. Während sie das tat und ich bedachte, daß sie größer sei als ich, wisperte die Tafelrunde und würde mich in hundert Jahren wiedererkennen.
    Anders ging es mir mit Fedia nach dreihundert Sekunden. Sie zeigte sich immer noch größer und immer noch schöner als ich, wozu zweimal nicht viel gehörte, aber ihre Jacke wirkte an diesem flämingschen Palmsonntag überraschend, weil es sich um ein Kleidungsstück der Deutschen Volkspolizei handelte.
    Wahrscheinlich hat mich die uniformierte Person geleitet, denn unterm Ostersegen der Konfirmationsgemeinde fanden wir auf die Straße, wo Hauptwachtmeister Fedia fragte: »Hat dir keiner was gesagt? Auch Bantzer nicht?«
    »Kein Wort. Bei Jochen höre ich meist nicht so hin. Er neigt zu Übertreibungen.«
    »Dazu neigt er«, sagte sie. »Er neigt dazu, ein Seil in die Luft zu schwindeln und zu behaupten, daß er darauf laufen kann.«
    Noch einmal beseelte mich der Geist, der mich an eine jüterbogische Kaffeetafel getrieben hatte, und ließ mich nach Blicken zu Fedia hinauf und um Fedia herum zu Fedia sprechen: »Aber manchmal ist das Seil da, und einer kann darauf laufen.«
    »Meistens nicht, mein Lieber«, sagte Fedia aus Jüterbog, die dann meine Freundin Fedia wurde.
    Weil ich nicht weiß, ob überm Poltern anderer Ereignisse die Rede noch darauf kommen wird, beteuere ich hier:

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