Okarina: Roman (German Edition)
aber kommen sie vor, weil sie mir nachmals nachhaltig in die Quere gekommen sind.
Meine Überzeugung steht lange fest, daß meine Zeit nur nutzlos war, wenn ich sie so sehe. Ich sehe sie so aber nicht. Zwar mache ich keinen Gott aus, der mir die Bahnen steckte, doch mich mache ich aus als einen, dem diese Bahnen einiges steckten. Wenn etwas lange und deutlich genug geschieht und lange und gründlich bedacht wird, kommt man, soviel wollte uns der Dichter mit seinem Steine sagen, zu Bewußtsein von ihm. An dem man festhält, wo man an anderem verliert.
14
Friedrich Moeller wartete diesmal auf mich, denn es hatte ihn ein Gedanke angefallen. Er fragte nicht nach meinem Woher, sondern wollte wissen, wann mit einer neuen Schriftart zu rechnen sei. Ähnlich wie ihn niedere Lüste dazu trieben, hin und wieder die Zähne in den Küchentisch zu tun, veranlaßte ihn dann und wann ein höheres Wollen zu gehobenem Letternschneiden. Des einen wegen berüchtigt, war er des anderen wegen berühmt.
Ich hatte von derartigen Plänen nichts gehört, doch vermutete Herr Moeller hinter meinem Parteiabzeichen ein Herrschaftswissen. Es sei das zweite Mal, sagte er, daß er erlebe, wie ein neuer Staat aufgemacht werde. »Erst die und dann die«, sprach er mit Rücksicht auf mich voller Zartgefühl. »Die wollten Fraktur, aber was diese nun wollen?«
»Ich kenne niemanden mit solchen Sorgen«, sagte ich.
»Doch«, antwortete er, »mich.«
Manchmal führte er mir Geschichte in Schriftbildern vor. Was ihm als Sprecher mangelte, machte er als Drucker wett. Ich war auf sein Thema vorbereitet, denn vor der Setzerlehre hatte die Schule mir abverlangt, in Sütterlin ein Zeichen deutscher Artung zu sehen, bei dem der Grundsatz der Schreibbarkeit betont, aber stets unter den Gesichtspunkt der Schönheit gestellt werde.
»Wo man jetzt die Russen hat«, sagte Friedrich Moeller, »wird man Kyrillisch lieben. Noch drucken sie ihre Proklamationen alt, aber eines Tages werden sie unser Deutsch und die lateinische Schrift kyrillerieren wollen.«
»Kyrillerisieren vielleicht«, sagte ich, aber Herr Moeller verwies mir die Witze: »Ja, Sie lachen, nur ist der Russe da, und er schreibt kyrillisch. Hat er vom Bulgaren.«
»Die Russen sind schon lange da und zeigen nichts von solcher Absicht.«
»Daß er es nicht zeigt, kann gerade Absicht sein«, antwortete Friedrich Moeller und übersah mein Parteiabzeichen, als habe ich ein Brandloch im Revers.
Weil ich zur Sache nichts wußte, übergab ich ihm Gabriel Flairs Programmzettel. Nach einigem Lesen sagte er: »Spielt in einem Textilbetrieb. Seit den Webern spielen sie gerne da. Oder auf einem Schiff.« Er öffnete den Rollschrank mit seinen Künstlerschriften, und ich war nicht mehr vorhanden. Sobald er sich in der Letternsammlung umtat, in der es Gerhart-Hauptmann- und Georg-Kaiser-Schriften gab, die aus einem anderen Teil seines Lebens stammten, weilte er hingegeben in eben diesem Teil. Und ich glaubte ihm, nachdem er die kupfernen Lettern als Prägungen seiner Erstzeit bezeichnet hatte, die Einfältigkeit nicht mehr. Aber wie er in der Hocke vor dem Schrank saß und Das ist die Liebe der Matrosen sang, war sie zu glauben.
Da kam meine Freundin Fedia gerade recht. Sie konnte mit beiden Moellers umgehen, und mit mir konnte sie umgehen, daß ich mich ausnahmslos freute, wenn ich sie sah. Es ist verboten, von einer Frau als einer Eroberung zu sprechen, aber Fedia durfte meine Eroberung heißen. Und ich in diesem Zusammenhangein Held. Einer von der Sorte, die nicht recht bei Troste ist.
Ich kann schon nicht ganz bei Trost gewesen sein, als ich es für eine gute Idee hielt, mit Jochen Bantzer um Ostern herum nach Jüterbog zu fahren. Das ist eine Jahreszeit, in der die Wahrheit über Jüterbog unverfärbt zu Tage kommt. Sie stellen dort Briefumschläge her und haben einen Artillerieschießplatz. Alles war grau, und nichts war trocken, und sogar die Keule hatten sie weggeschlossen, mit der nach jüterbogscher Ansicht erschlagen gehört, wer seine Kinder füttert, wo er selber nichts hat.
Die zweite Hochzeit seines Vaters hatte Jochen Bantzer starke Gründe geliefert, mich in die Gegend zu locken. Der Männermangel dort sollte so groß sein, daß sie zu all den Cousinen und Nichten ein paar Kerle aus Berlin heranschaffen mußten. Wie alles, was Jochen Bantzer beschrieb, verhielt sich die Not von Jüterbog etwas anders. Die Cousinen waren Großcousinen im Alter von Großmüttern, und die Nichten waren gut
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