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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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versprechen dem Betroffenen leicht wurde, als ihm nichts anderes übrig blieb und der gewalttätige Dogmatiker zudem versicherte, er wolle hinfort statt auf die Massen nur noch auf Individuen setzen und statt auf die Gewalt von Waffen auf nichts als die Gewalt der Idee.
    Nachdem ich hier noch einmal von diesem belangvollen Auftritt wissen ließ, kehre ich zu unserem Ausritt über die zerborstene Wilhelmstraße und in ein Gespräch zurück, von dessen Tönen, dies sollte sich verstehen lassen, für mich keiner stark genug sein konnte, das lautstarke Wort Okarina zu übertönen. Oder die Frage, ob der Instrumentenname ein Signalwort gewesen sei.
    Eine Antwort blieb aus. Fast unvermittelt endete Gabriel Flairs Notat zum Umgang mit der zerriebenen Weltgeschichtsmeile. Mit ausgestreckten Armen setzte er die Spanne vom Kaiserhof zur Reichskanzlei in Anführungszeichen und befand, diese Silhouette tauge bestenfalls in ein symbolistisches Schattenspiel. Wir aber hätten Anspruch auf Licht. Als gelte es, den anstrengenden Flair nach seinem anstrengenden Schlußsatz einzupacken, ließ er die Arme sinken, ließ auch an Lautstärke nach und sagte: »Nun ja. Aber unsere Ausfahrt kommt ins Programm. Robustes Fahrwerk, etwas Proviant, und havelaufwärts geht es, wie ich es mir ums Leben vorgenommen habe.«
    Fuhrmann Ronald fragte, ob man, falls keine Überraschung geplant sei, genauere Einzelheiten hören könne. Er bekam Antwort von verwirrender Schärfe. Die Einzelheiten werde er zur passenden Zeit nennen, sagte Flair, und ich verstand nicht, warum er nach dem unterweisenden Feuer so eisig klang.
    Ronald nahm mir die Zügel aus der Hand und stieg auf den Bock, während die Mähre weitertrottete. Mich lud er zu folgen ein, und dem Großen Dramaturgen sagte er: »Ich glaube,ich ahne, wohin du willst, Genosse Flair. Wenn du havelaufwärts sagst, weiß ich den Ort. Eine Ehre, dich zu begleiten. Aber jetzt muß ich zum Adlon. Ich melde mich ab und melde mich wieder.«
    Der Bühnendichter Flair machte eine Handbewegung, die unsere Entlassung bedeuten konnte, aber auch ein wenig wegwerfend wirkte. Dann schritt er davon. – Der Teufel hole mich, wenn mir sein Abgang, bei dem ich mich fragte, ob ich zur Okarina jemals Auskunft erhalten werde, nicht unerlaubt symbolüberladen vorgekommen ist.
    Ronald sah dem Theatermann nach und sagte, während er die Peitschenspitze über den Ohren seines Pferdes tänzeln ließ: »Im Grandhotel die Kaltmamsell, die liebt mich.« Er fingerte an seinem Parteiabzeichen, betrachtete meines und zog schließlich die Jacke aus.
    »Da wende ich mich meinen Ausbeutern zu, die mich auf ihre Art schätzen«, sagte ich und stieg von der Kutsche. Ihr Kutscher rief mir etwas Sächsisches nach, von dem ich erst in der Behrenstraße begriff, daß es Nu klar! geheißen hatte. Auf der Treppe zu Moellers fragte ich mich, welche Frist verstreichen müsse, ehe ich den Großen Dramaturgen wenn nicht nach Musikalischem so doch nach dem Buch von Sinclair fragen dürfe.
    Und frage mich, ob erkennbar wird, daß Flair und Slickmann sowie Friederike und Friedrich Moeller kein biographisches Beiwerk darstellen und der Eiskarren Josef Stalinskis wie die Okarina Josef Stalins sowenig bloße Requisiten waren, wie die Wilhelmstraße und der havelaufwärts gelegene Ort beliebige Ausflugsziele. Ich möchte wissen, ob sich ahnen läßt, daß Personen wie Gegenstände zum Nennenswerten zählen, auf das ich aus bin, seit ich mich meiner Geschichte noch einmal angenommen habe.
    Als Ronald Slickmann, Gabriel Flair und ich uns trennten, ehe wir den Rest vom Hotel Adlon – den damaligen Rest, der seither längst Ergänzung fand – am Ende der Wilhelmstraße erreichten, zeigte des Fuhrmanns Deichsel vermutlich auf die Kaltmamsell dortselbst, aber die Deichsel seines Wagens wies auf ein Areal, das vornehmlich aus Brandenburger Tor undReichstag bestand. Plus, wenn man Verschwundenes hinzuzählen durfte, amerikanische Botschaft und Liebermanns Haus.
    Ich bin kein Sternengucker, doch habe auch ich gelernt, daß die Deichsel eines besonders großen Wagens auf einen besonders wichtigen Stern hindeutet. So war es auch mit Josef Stalinskis und Ronald Slickmanns Pferdekarren. Zu der Zeit, in der sich unsere Fahrt mit dem Eiswagen Richtung Pariser Platz begab, waren um ihn Geschichten versammelt, die ich nicht kennen konnte, weil sie erst noch stattfinden mußten. Noch stellte ich nicht mein Motorrad dort ab, wenn ich auf Beschaffungsreise für die

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