Okarina: Roman (German Edition)
Loseblatt-Zeitschrift O KARINA im Postenhaus vom Brandenburger Tor meine Ost-West-Passage beglaubigen ließ. Noch hatte ich nicht im absurden Adlon-Rest-Salon als O KARINA -Vertreter an Ost-West-Disputen teilgenommen. Noch war ich nicht auf dem Basar unterm Langhans-Monument an die wagenradgroße Kommandantenmütze eines Sowjetgenerals geraten und wußte noch nichts vom wachsenden Radius der nachfolgenden Russenmützen. Noch stand das Tor nicht offen, das ich so lange Globkes und Springers wegen verriegelt hielt. Und noch weinte dort ein Mädchen, das Lisa hieß, seine Tränen nicht in unser beider blaue Hemden.
Dennoch gehören alle und alles dazu, wenn ich von der Wilhelmstraße rede, die zeitweils Otto-Grotewohl-Straße hieß und in der zeitweilig Hitler, Hager und Schabowski wohnten. Oder wenn ich von Geschichtsbewußtsein spreche. Meinem oder allgemeinem. Alle gehören dazu, Lisa schon gar. Ich weigere mich, sie in die Unterabteilung Gewisse Geschichten einzuweisen. Denn Lisa war, obwohl sie weinte, sehr bewußt an einem Spiel beteiligt, das sich an einem späten Sommerabend an der verlängerten Wilhelm- bzw. Grotewohl-Straße und am undemokratischen Ufer der Spree in Höhe des Reichstags begab. Keine Ahnung, warum sie, die immerfort sagte, hüten werde sie sich, mit mir aus dem festlichen Licht in die Schatten zu gehen, durchaus mit mir in den Schatten gegangen ist. Sie jammerte nicht nur, sie weinte sogar, sie dürfe nicht, was sie tue, und klagend ging sie dorthin, wohin zu gehen ich sie gebeten hatte. Und weiterhin bitten mußte, Schritt für Schritt. Schritt für Schritt weinte sie, sie gehe nicht, weil sie es nichtdürfe. Aber sie ging mit mir, Schritt für Schritt. Hätte sie es von mir verlangt, hätte ich statt ihrer geweint. Unter Tränen hätte ich sie angefleht, um ihre Gunst gebettelt, mich im Staub gewälzt. So sah diese Lisa aus, und so faßte sie sich an. Doch verlangte sie nichts dergleichen, sondern begnügte sich mit ihrem Jammern und meinem Bitten. Schritt für Schritt sagte sie, es gehe nicht, weil es verboten sei. Aber es ging. Schritt für Schritt. Ich hasse es, sagte sie, als ich schon meinte, sie liebe es. Sie sagte, sie hasse es, ihrer Mutter rechtzugeben. Sie jammerte, während mir alles recht war. Sie sagte, ihre Mutter habe ihr vor dem Fest gesagt, so werde es kommen, wenn sie im blauen Zeug beim roten Zeug mitgehe. Und womöglich mit einem roten Kerl in blauem Zeug. Die Frau hat recht gehabt. Gut nur, daß ich es war, den ihre Seherinnenrede meinte. Der leere Reichstag am Ufer der Spree wie auch das leere Abgeordnetenhaus schwiegen. Kein präsidialer Ordnungsruf drang an Lisas Ohr oder meines. Auch hielt ich den geschichtsbewußtseinsgespeisten Appell zurück, Lisa möge beim bedenklichen Tun die Örtlichkeit bedenken: Des Kaisers Reichstag überm Wasser und wir als vereinte Königskinder dabei. Zu Dimitroffs Amboß mein angloamerikanischer Lieblingssong, der zu dieser Stunde If I Had a Hammer hieß. Zur Alterspräsidentin Clara Zetkin jetzt Jugendfreundin Lisa; in blaues Tuch gekleidet sie wie ich. Ihr Hemd wie meins von ihren Tränen naß, doch meinen Redensarten verschloß sie ihr Ohr. Wohl weil sie es anderen Signalen offenhielt. Ich weiß nur, daß ich, als Zeit war, uns ins Licht zurück zu reden, doch noch Vortrag hielt über Reichstag, Schiffbauerdamm und Zetkin-Straße. Und mit meinem Geschichtsbewußtseinsgedöns nur sagen wollte, daß ich, der ich farbgetreu in Gesichten ihrer Mutter vorgekommen war, nicht allein an einem Übermaß von Beredsamkeit litt, sondern auch, was sie und ihre Tränen betraf, in mir auf heftige Wiedersehensbegier gestoßen sei. Das höre sie gern, sagte Lisa, wie sie im blauen Hemde tone in tone mit der blauen Nacht verschmolz, nur lese ihre Mutter heimlich ihre Post. Sie wohnte in Güstrow, wo sie nach allem, was ich weiß, bis heute geblieben ist.
Auch das muß ich mir sagen, wenn ich nach Nennenswertemfrage. Es wollte gesagt sein, ehe ich uns bei Moeller & Moeller in eine Geschichte fädle, die dort hingehört, wo sich zur Zeit vor allem Gerüchte behaupten. Gleich gebe ich Bescheid zu dem, was mir zwischen Knasttor und Moellers Druckhaustür geschehen ist und was zwischen Ronald und Flair und mir des weiteren passierte. Aber vorher beteuere ich, daß mich nicht Geltungslust veranlaßt, meinen Bericht mit Erscheinungen zu versetzen, die Lisa oder Elisa heißen. Sie kommen vor, weil es, unterblieben sie, eine Fälschung wäre. Nicht zuletzt
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