Okarina: Roman (German Edition)
und kam es hart, war man in besten Händen. Sie versuchten nicht, mich zum Anarchismus oder zur Musik zu bekehren, und ich versuchte nicht, ihnen diese auszureden. Sie zogen mich sacht mit meiner Parteifrömmigkeit auf, ich sie ebenso sacht mit ihrem Glauben an das einzige Ich. An dem, was uns wichtig war, suchten wir einander zu beteiligen; nahegetreten ist keins dem anderen. Sie gingen nicht zur Wahl und zeigten keine Fahne, aber beim Ummarsch für Karl und Rosa taten sie mit. Leonhard sagte, er mache es der Schalmeien wegen, die seien am ganzen Kommunismus das Beste. In diesem ungeschlachtenInstrument, erfuhr ich von Adele, habe man eine Vorläuferin der Oboe zu sehen. Der Teufel ritt mich fast zu fragen, ob auch die ungeschlachte Okarina in der Nähe sei. Aber in diesem Punkt widerstand ich dem Teufel.
Ich wohnte viele Jahre bei Adele und Leonhard und dachte danach nicht selten an sie. An der Versuchung, unter ihren Glaubenssatz Nur das Ich ist das Wirkliche zu treten, hat es nicht gefehlt. Seit der Begegnung mit den wirklichen Bicks fiel meine Entrüstung über den Anarcho-Syndikalismus gemäßigter aus, als vom Parteimitglied erwartet wurde. Wilhelm Strickland sprach scharf und laut, wenn er auf die POUM in Spanien kam. Ronald Slickmann sprach scharf und grob, wenn er ausmalte, wie es im Falle, sie hätten einander getroffen, zwischen ihm und den Anarchos zugegangen wäre. Meine sanfte Freundin Fedia wurde unsanft, wenn sie wiedergab, was ihr Lehrgang sie über den Anarchismus lehrte. Gabriel Flair wurde schneidend, wenn er an sich eine Schwäche für die Anarchie zu erkennen glaubte. Und Frau Moeller fand jeden Syndikalismus, ob nun den von Kartellen oder den von Gewerkschaften, gleich verwerflich.
Es war eine Frage verschiedener Lebensarten. Wilhelm Strickland hatte seine Begegnungen am Jarama hinter sich und ich meine Begegnungen in Nordend. In seiner Erinnerung hallten Explosionen wider, in meiner ratschten Zähne über Zähne. Auch habe ich den Streuselkuchen hinter mir, den die Musikforscherin Adele in köstlichen Mengen buk und von dem wir unzeitgemäße Mengen verzehrten, wenn der anarchosyndikalistische Veterinärhelfer Leonhard Bick die Ansichten des Grafen Bakunin gegen die des Doktor Marx verteidigte. Ich bezweifle immer noch, daß nur das Ich das Wirkliche sei, und meine, dafür Gründe zu haben, aber seit den Begegnungen mit so freundlichen Menschen und so erfreulichen Dingen sehe ich nicht gleich glimmende Lunten, wo ein Anarchist aus dem Bilde geht.
Im übrigen teile ich mit, daß ich ähnlich dem Lager-Teil auch diesen Alltagsabschnitt sehr gekürzt habe. Jedoch beschnitt ich nichts, was als Antwort auf unangenehme Fragen taugte. Ich trennte mich nur von allzu Bröseligem. Vom Elend derIdiotie etwa, mit der meine Partei ihre sogenannte Wohngruppenarbeit betrieb. Sollte man dergleichen hören wollen, verweise ich auf den dritten Band von Strittmatters Wundertäter , in dem der barmherzige Autor die erbarmungslose Treue seiner Details nur durch Sprache und Humor erträglich macht.
Unterm Gesichtspunkt gesellschaftlicher Kleinplackerei war das, was sich an der Basis Nordend zutrug, stumpf und einfallslos. Nach dem Reglement hatte ich mich bei dem Buchhalter melden müssen, der nicht nur Nachbar der Bicks, also auch meiner war, sondern ebenso meiner Wirte inniger Feind wie des Wohngebiets oberster Parteibestimmer.
Weil ich mich als Einmieter der Bicks in seinen Augen dafür eignete, überließ er mir die Aufklärungsarbeit mit diesen Bombenschmeißern. Aufklärung meinte noch nicht Spionage und Agenterei, sondern einzig die argumentgestützte Befreiung aus jeder fremd- oder selbstverschuldeten Unmündigkeit. Die Aufklärungsarbeit mit den Schuhmachergehilfen überließ er mir ebenfalls. Damit waren Sozialdemokraten gemeint, die rings ums Straßenbahndepot wohnten und mit dem Rad nach Reinickendorf oder Wittenau auf Arbeit fuhren. Daß ich sie nicht leiden konnte, hatte weniger mit ihren Grenzgängen als mit der Art zu tun, vor mir, der ich am Sonntagvormittag mit heilsbringenden Schriften auf ihrer Schwelle stand, wortlos die Tür, hinter der es nach Westhühnerbrühe und Westbohnerwachs roch, ins Schloß zu ziehen. Manche drehten, manche gar zweimal, den Schlüssel um. Das ließ mich ähnlich von ihrem Halse denken.
Nur denken. Anders wäre ich den Schuß Pulver nicht wert gewesen. Zu Recht hätte man mich entfernt aus dem Kern der Geschichte. Zu Recht wäre das Nichts der Anarchie mein Teil
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