Okarina: Roman (German Edition)
geworden. Zu Recht hätten sie mich zum Kader indischen Typs erklärt. Daß es nicht dahin kam, ist mir recht gewesen. Denn ich war gern dabei, wenn die Schalmei so ungeschlachte schrie.
Meist ging es nicht laut zu, wo wir den Fortschritt betrieben. Wir nahmen an Unterweisung und deren Repetitionen teil und machten Kleinarbeit. Während Ronald und ich uns mokierten, bestand Flair auf Bewußtheit bei jeglichem Tun.Ohne alle Folgen zu bedenken, könne zum Beispiel keiner für die Bühne tätig sein, sagte er und ließ nicht gelten, daß wir andere Arbeitsplätze hatten.
»Es scheint ein Gesetz mit Einschränkungen zu sein«, sagte der Eismann. »Insofern, als es nur gilt, wenn sich welche dran halten.«
»Dann wäre es eine Allerweltsregel.«
»Das weiß ich nun nicht«, sagte Ronald und sorgte, daß wir den Glauchauer Ton nicht überhörten. Seine Neigung zum Krach, bei dem er sich dieses Idioms bediente, hatte sich letzthin verstärkt. Als ich das gemäß des allgegenwärtigen Doppels aus Kritik und Selbstkritik anmerkte, erwiderte er, er reibe sich an uns, um das Versöhnlertum auszugleichen, zu dem er sich verurteilt sehe. »Die Brüder«, sagte er und meinte seine Handelspartner im Westen der Stadt, »halten nicht bloß die Hand auf, sondern auch das Ohr. Bare Münze genügt nicht; als Aufgeld mußt du ihre Klagen für bare Münze nehmen.«
»In dir geht es zu wie in der Maßnahme «, sagte Flair.
»Du schmeichelst mir. Andererseits weiß ich nicht, ob es nicht idealistisch ist, die materielle Welt über Kimme und Korn eines Theaterstücks zu betrachten.«
Dafür wußte Flair einen Satz, der mir bis heute in den Knochen steckt. Als interessiere ihn die verhandelte Sache sowenig wie deren Vertreter, sagte er: »Na schön, da weißt du es nicht.«
Wenn er Aufwand trieb, biß es. Aber es tat auch wohl und schmeichelte uns, daß sich der Meister Mühe gab, einen Konterbande-Kutscher und einen Zettel-Setzer im Kopf anzustrengen. Anders seine resignierenden Befunde, die ohne gehobene Bilder auskamen und etwa Na schön, da weißt du es nicht lauteten. Sollte ich sagen, woraus Flairs Bescheide vor allem ihre Schärfe gewannen, müßte ich die Pausen nennen, die er den Worten folgen ließ. Man konnte sich lange gemeint von ihnen fühlen.
Längst kommt mir der Ausdruck Streitkultur wie die Ermahnung vor, einem, bevor man ihn blutig drischt, Verbandszeug zu reichen. Auch sehe ich dem Wort Kriegskultur gefaßt entgegen. Das Bestreben aber, der unvermeidlichen Auseinandersetzung eine angemessene Form zu finden, ist mir seitdem Umgang mit Flair bekannt. Selten traf ich jemanden, den das, was er war oder gewesen war, so vor meiner Ungerechtigkeit schützte. Ich hatte mir nach Warschau vorgenommen, weniger sklavisch dem Gebot zu gehorchen, man müsse das Alter ehren. Zuviel Gemeinheit hörte ich aus betagtem Mund. Zuviel Ruhmsucht, die sich auf Jahresringe berief, begegnete mir dort, wo aller Ruhm verloren war.
Ausgerechnet beim Umgang mit Flair änderte sich mein Umgang mit seiner Generation noch mehr. Er war großartig, wenn er von sich als jungem Mann erzählte. Aber derselbe Gabriel Flair ließ sich kaum aushalten, sobald ihn die Vorstellung triezte, wir seien nicht anders jung als die Kerle, die ihn in Sachsenhausen und Buchenwald bestenfalls wie Abfall behandelt hatten. Ich glaube nicht, daß er uns je zu den Mördern projizierte. Aber zu sagen, seine Mühe mit uns habe ihm manchmal Mühe gemacht, heißt eine Vorsätzlichkeit mehr als milde benennen.
Erkennbar zielgerichtet traktierte er uns mit den Klassikern, und ebenso absichtsvoll beteiligte er uns an der Wut, die ihn ob des verwalteten Alltags befiel, der aus ihnen abgeleitet wurde. Er war ein antidogmatischer Dogmatiker, den ich nur aushielt, weil ich wußte, was er ausgehalten hatte. Und den ich kaum aushielt, sobald er die Anstrengung zeigte, die er sich abverlangte.
Ronald und ich bewiesen Streitkultur, indem wir versuchten, unserem Widerspruch das gehörige Wort zu finden. Die höflich aufsässige Formel amerikanischer Filme Bei allem Respekt, Sir , die uns sehr gefallen und im Umgang mit Flair geholfen hätte, kannten wir noch nicht. Geklungen wie sie haben wir nicht selten.
Weil es auch weiterhin zwischen uns so haarspalterisch und rechthaberisch zuging wie im erwähnten Fall: Einer von uns hatte ein Quentchen zu sicher etwas geäußert, das Flair indiskutabel schien. Hatte etwa gesagt, er wisse nicht, ob es nicht idealistisch sei, die Welt an der
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