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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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gefühlt.
    Ich rede von Flair, Slickmann und mir. Rede auch von Fedia, auf die ich gleich zurückkomme. Jetzt aber bleibe ich bei Gabriel Flair, Ronald Slickmann und mir. Oder, weil der Große Dramaturg etwas anderes als wir gewesen ist, bei Ronald und mir. Flair war buchstäblich ein Befreiter; Ronald und ich wurden nicht zuletzt durch Buchstaben befreit. Nicht nur mit Hilfe von Pulver und Blei, sondern auch mit Bleistift und Tinte.
    Unsere Heiterkeit hatte mit einem Irrtum zu tun. Wir schlossen aus Erreichtem auf Erreichbares. Die Minderheit, zu der wir zählten, war zu dieser Frühzeit wirklich der gebildete Teil der Nation. Weil wir so simpel wie nur denkbar wußten: Vorher war es falsch, nun mußte es richtig sein. Gewiß wäre es besser gewesen, wir hätten gedacht, nun müsse es richtig werden. Aber daß wir dachten, bislang war es falsch, zeigte uns auf dem Weg.
    Eine schöne Vorstellung: Ich sagte das in ein Mikrophon. Nähme die Freiheit in den Mund. Sagte: In gewisser Weise, im Sinne einer Ahnung fühlte ich mich frei. Einfach, weil ich, was ich hatte, an dem maß, was ich vorher nicht hatte. Hier würde Gespräch zu Geschrei. Eine babylonische Säule aus Wut und Spott wüchse in den Himmel. Protest zerpreßte, was ein Ansatz war. Streitkultur? Streit ist ein Wort von Kultur. Die Idee von solcher Freiheit gehört hinters Schott. Nicht doch, nicht unters Schafott, hier geht es glimpflich, wir haben Vernichtungskultur.
    Um meiner Vorstellung freie Fahrt zu sichern, trage ich sie besser nicht auf Podesten vor, sondern liefere sie, indem ich den Wettern traue, als besegelte Flaschenpost. Von dort in Mecklenburg-Strelitz, wo ich heute wohne, bis dort, wo ich in einer versunkenen Alster-Eisnacht und an einem halb vergletscherten Eistag war, läuft es auf langes Reisen hinaus. Wir sind durch Flüsse und Kanäle dem Havel-Elbe-System verbunden; es ist eine Frage von Winden und Strömen, wannmein Bescheid an einen Empfänger gerät. Sperrig ist nur sein Inhalt; seiner Kurzform, seinem Ungewicht wäre jede Phiole gewachsen.
    Eine Meile auf dem Zierker See, über den Kammerkanal unterm Schienenweg hindurch, der von Templin nach Mirow führt, danach in der Fahrrinne der Woblitz bis querüber von Wesenberg, und schon hätte mein Schriftgut die Obere-Havel-Wasserstraße erreicht. Die obere nur, aber die der Havel. Diese gilt meinem Lexikon als bedeutendster Nebenfluß der Elbe und Hauptfluß der Mark Brandenburg , obwohl sie sich schon in Mecklenburg zur Geltung bringt. Energisch, indem sie in den Wiesen nördlich meiner Hütte entspringt. Wann immer ich nach Südwesten fahre, etwa zum Nachbarn an den Pälitzsee, der zu ihrem Einflußbereich gehört, komme ich mit ihr in Berührung. Kurz nach Aufbruch tangiere ich sie bei Useriner Mühle, wo das hier noch junge Gewässer von alters her eine, was schon, eine Mühle antrieb.
    Die Havel scheint unter den nördlichen Flüssen sowohl ein fleißiger Kärrner als auch von verwirrend unklarem Ursprung zu sein. Vom Aufbruch aus einem Feuchtgebiet südlich von Ankershagen bis zum Eintritt in die Spree bildet der Hauptfluß Brandenburgs, der mir in meinem Teil von Mecklenburg als Hauptereignis unter den Flüssen gilt, mehrere Seenketten. Oder schlängelt sich durch deren gemachtes Bett nach Süden.
    Hauptereignis, das will Begründung. In Ankershagen nahe der Quelle saß Schliemann auf der Schulbank. Jener Pastorssohn, den die Kunst des Ankershagener Hofmeisters und Dichters Johann Heinrich Voß bewogen haben soll, Troja auszugraben. Es könnten aber die mondhoch wunderbaren Träume des Matthias-Claudius-Freundes, der in Vorzeiten mein Nachbar war, auch aus den weißen Nebeln der Havelwiesen aufgestiegen sein.
    Wenn Slickmann es für idealistisch hielt, die materielle Welt über Kimme und Korn von Literatur anzuvisieren, hat Schliemann genau dies getan, als er seine von Voß vermittelte Homer-Lektüre in archäologische Taten umsetzte. Wozu es barer Münze bedurfte. Erstes nennenswert großes Geld hat Herrn Paster sien Söhn mit Eisenbahnaktien gemacht. SeineSpekulation half der Kommunikation. Indem er zur Schaufel griff und Troja freilegte, womit er einem Hörensagen Hand und Fuß verlieh. Daß der Kaufmann aus Ankershagen, in dessen Nähe die Havel entspringt, über die Knotenpunkte Troja, Homer und Voß keine geringe Weltverbindung hergestellt hat, muß man nicht melden. Des Spaßes wegen, den es macht, wenn die Realität eine These stützt: Als Pionier hat er sich ebenso beim

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