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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Umgang mit dem Telegraphen bewährt. Seine Verwandtschaft mit meinem Forschungsgegenstand, dem Berliner Säulenverwerter Litfaß, läßt sich leicht erkennen: Aufgebrochen östlich der Müritz, hat Schliemann östlich von Suez Geschäfte und Geschichte gemacht. Wodurch er Litfaß weit überragt, der aus Geschichte vornehmlich Geschäfte machte.
    Mein Vorschlag, ihn zu den Größen der Kommunikation zu reihen, erfuhr höhere Unterstützung. Just hatte ich es niedergeschrieben, stieg ein farbstarker Regenbogen auf, dessen linke Verankerung in die Ecke des Grothensees gegründet schien. Wenn ich eine Linie von meinem Schreibplatz über den Seewinkel verlängere, zielt sie auf einen Punkt westlich von Penzlin und östlich der Müritz. Daß sie genau auf das trojanische Pferd vor Schliemanns Wohnhaus oder zur Hüsung von Johann Heinrich Voß zeigte, will ich, obwohl ich es unterm Regenbogen gern gesehen hätte, nicht behaupten. Daß sie aber die Havelquelle überquerte, läßt sich ähnlich fest nicht verneinen. Es wird vielmehr diese Idee durch den unsicheren Stand der Havelquellforschung erfreulich bekräftigt.
    Sollte wer prüfen wollen, ob sich über den Grothensee tatsächlich eine Gerade zur Straße nach Ankershagen ziehen lasse – nur zu! Doch besser nicht zu jeder Stunde. Es müßte blätterlose Zeit sein, in der gelegentlich die Sonne scheint. Weil der Lokalpatriot dann ganz und gar die Gegend reden lassen kann. Ich würde nur alle zwei Minuten verlangen, man solle den Penzliner Himmel betrachten und gestehen, daß man zu Hause keinen solchen habe. Würde wieder und wieder halten und lediglich der seitab liegenden Müritz-Stadt Waren wie dem seitab liegenden Strelitzer Berg wie dem seitab liegenden Königin-Luise-Sterbeplatz wie der seitab liegenden Reichsärztekammer-Siedlungwie dem seitab liegenden Hanna-Reitsch-Fliegerhorst ein Wörtchen widmen. Und ansonsten sorgen, daß man sieht, wie wohlgeraten die Gegend ist. Gut, ich würde dem durchreisenden Fremden von den Farbhölzern Schliemanns und von der Priemtabakfabrik-Jugendstilfassade in Penzlin und vom Lärzer Wunderbäcker die Ohren vollhämmern, doch im übrigen sollte die Ecke Mecklenburgs, von der es unterm Regenbogen bis zu meiner Hütte geht, ganz für sich selber sprechen.
    Ehe ich von Fedia erzähle, die sich ähnlich dem Regenbogen aus meinem Leben verlor, sage ich noch etwas zur vorwiegend preußischen Havel. Sie eignet sich schlecht, nur Erdkunde zu denken. Ich versuche es doch, wenn ich von Iswalde nach Wesenberg ihren Lauf überquere. Lasse unbedacht, daß die Marterstätte Ravensbrück, dieser Nazi-Beitrag zur Gleichberechtigung der Frau, nach Süden zu und schon im Brandenburgischen an einem Havelsee liegt. Lasse Oranienburg, das hier nur ein anderes Wort für Sachsenhausen ist, absichtsvoll aus. Lasse jenen Havelsee, der Wannsee heißt, links liegen, als habe sich kein Eichmann nahe Liebermanns Haus und während der Konferenz, die solche wie Liebermann betraf, die Füße vertreten. Lasse unerwähnt, daß die havelländische Todesstrafvollzugsanstalt Brandenburg eine Lehranstalt der Einser-Absolventen Busch, Havemann und Honecker war. Lasse im Grunde diesen deutschen Hauptfluß, der unfern von meinem Zuhause aus müritznahen Wiesen springt, fast unbescholten bei Havelberg in die Elbe gehen.
    Unbescholten, weil ich mit ihm als zeitweiligem Weggefährten sentimentale Reisen nach Hamburg mache. Der mir nächste Übergang wurde jüngst durch ein breiteres Bauwerk ersetzt, wodurch man weniger gefährdet über die Havel kommt. Nachteil muß heißen, daß der Reisende weder die Brücke wahrnehmen noch die Havel sehen kann. Ein Verlust, wenn man bedenkt, daß der Viadukt an diesem Punkt Mecklenburgs den bedeutendsten Nebenfluß der Elbe wie auch Hauptfluß der Mark Brandenburg quert.
    Ein Verlust jedoch, den ich, gäbe ich den Reisebegleiter ab, berichterstattend wettmachen könnte. Womit ich bei meinerFreundin Fedia bin. Die war sehr schön und konnte sehr schön zuhören. Die war ein wenig zu groß für mich, aber meine Geschichten waren ihr nicht zu lang. Die war empfindsam an überraschenden Stellen und hatte eine Eigenart: Solange wir unübertrefflich beschäftigt waren, hörte ich kaum mehr als ihren Atem. Wenn jedes auf seinem Rücken lag, verstrich eine Weile, die beide, so will ich einfach hoffen, wohlgefälligen Gedanken widmeten. Bis Fedia sagte: »Nun erzähle du was.«
    Was ich erzählen solle, fragte ich.
    Was mir einfalle, sagte

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