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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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sie.
    Mir falle ein, daß sie mir gefalle.
    Den Eindruck habe sie.
    Ob ich ihn verstärken dürfe.
    »Erst die Geschichte.«
    »Es war einmal das Mädchen Fedia …«
    »Nichts von mir, nichts von dir, nichts nach Mustern!«
    »Was gibt es außer dir und mir, was wäre ohne Muster?«
    »Erzähle, worauf ich nicht eingerichtet bin.«
    »Bist du auf Liebesgeschichten eingerichtet?«
    »Ja.«
    »Auf Schulgeschichten?«
    »Ja.«
    »Auf Kriegs-, Lügen-, Sauf- und Gruselgeschichten?«
    »Ja.«
    »Auf welche über Hunde, Schafe, Tauben, Puten?«
    »Puten? Kannst du mit Puten eine Geschichte?«
    »Kann ich.«
    »Die nehme ich.«
    »Du bist schlimm«, sagte ich, und sie sagte, warum, dürfe ich später erzählen, aber nun zu den Puten, und sie sei gespannt.
    Welch eine Not! Man legt in größter Verlegenheit, da unerwartet dazu aufgefordert, eine Zufalls-, weil Ersten-Einfalls-Reihe an, sagt Hunde und Schafe und Tauben und Puten und hätte ebensogut Hunde, Katzen und Rebhühner sagen können, und dann wird man beim Wort Puten genommen, und von Spannung ist die Rede. Obwohl sich dringendere Spannung geltend macht, müssen Puten geliefert werden.
    »Gut denn«, rief ich und setzte hastig hinzu, was folge, sei keine Kriegsgeschichte, sei vielmehr eine Putengeschichte, und die gehe so: »Im frostklirrenden ersten Winter des Krieges ist meine Mutter, der Marne in Dithmarschen nicht nur ein Ort, sondern eine Ordnung war, wegen einer kranken Verwandten von der Elbmündung fort auf längere Zeit an die Elde gekommen. Vom meeroffenen Fluß zum ländlichen Nebenfluß, vom nahen, zu dieser Zeit fast vergletscherten Nordseewatt, in dem es übrigens eine Untiefe gibt, die Großputengat heißt, zum fernen und tief gefrorenen Wockersee an Parchims Eichberg. Zu überfrorenen Wiesen und einem Garten mit durchfrostetem Grünkohl. Und dampfender Dunggrube zwischen Stall und Schuppen. Und Hühnern, solchen, die Eier legten, und solchen, die Fleischberge werden sollten und Puten hießen.
    Von denen handelt die allererste Geschichte, die ich dir erzähle, Freundin Fedia. Es ist eine, die meine Mutter immerfort erzählte. Als sei ich unter deren Wiederholungszwang geraten, erscheint mir, sooft ich auf den Namen der Stadt Parchim stoße, ein Geschwader blödsinniger Puten, steht dumm herum auf dem glitschigen Hühnerhof und gibt ab und an im Chor oder aus Solistenschnabel ein Lautgeläute von sich, das in die Nähe von Kolokoltschik kommt, was, wie du wohl hörst, russisch ist und Glöckchen bedeutet, wie ich aus Stalins Lieblingsliede weiß.
    Die zehn Puten, sagte meine Mutter, die es mit größeren Zahlen hatte, hätten ihr zwei Siege über ein anstrengendes Mannsbild eingetragen, einen angestrebten und einen errungenen. Zunächst war aber von solcher Bedeutung weder die Rede noch ein Gedanke; vielmehr wurde, als die Puten noch Küken hießen, hoffnungsvoll deren künftiger Nährwert besprochen und sorgenvoll der nötigen Futtermengen gedacht.
    Hörte man den Mann, der ein angeheirateter Verwandter war, hatte sie sich mit ihrem Plan übernommen, aus zehn Küken zehn Puten zu machen. Das gab der Garten nicht her, von den kriegskargen Zuteilungen zu schweigen. Das eine wußte sie, und das andere wollte sie sehen, sagte sie, und zu mir sagte sie: ›Das hab ich dann gesehen. Du ahnst nicht, wasin zehn Puten reingeht. Oder in Küken, daß sie Puten werden. Mais kolbenweise und fuderweise. Hafer, Gerste, Buchweizen scheffelweise pro kahlen Putenhals. Schrot und Kleie Sack für Sack, wenn du hast. Und von allen Kartoffeln, die du hast, die Hälfte. Aber, darin ist die Pute eigen, gekocht und gestampft. Mit dem halben Holz, das du hast, und mit der ganzen Kraft, die du hast.‹
    Der Ziege, den Karnickeln wurde abgezogen, was den Truthennen nötig war, und einmal hat meine Mutter die Vorstellung gehabt, die Schütte mit dem Mais, die Truhe voll anderem Körnerfutter, die halbe Kartoffelmiete, der Garten und die Wiese und ihre Zeit und ihre Kraft seien in dem häßlichen Geflügel versammelt, dessen einzige Bestimmung es schien, gravitätisch über den Hof zu schreiten und in Pracht und Saft heranzuwachsen.
    Der mecklenburgische Verwandte hat seiner schleswigschen Verwandten zugesehen und niemals die Hand gerührt, wohl aber den Mund. Das sei ein amerikaanschen Vaagel, der amerikaansches Fodder brauche. ›Dien Turkeys wulln Corn und keine Potatoes‹, sagte er und erklärte den Umstand, daß die Puten dann doch die Potatoes verschlangen, mit der

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