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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Slickmann graues Stangeneis beförderte oder schwarz gehandeltes Papier. Lange dauerte es nicht, bis ich wußte, wem der Karren in Wahrheit diente und wie die Fracht in Wahrheit hieß. Lange dauerte es nicht, bis ich mir vom Kutscher die Kutsche lieh. Zu keinem konspirativen, keinem umstürzlerischen Zweck, zu einem hergebrachten vielmehr, der jedoch bestürzend neue Züge gewann.
    Da nun schon des öfteren von Sattel und Joch die Rede war,sollte nicht verwundern, daß ich bald von einem Vorkommnis handle, bei dem die redensartlichen Dinge fast gegenständlich im Spiel gewesen sind. Zumal sich damit akkurat beschreiben läßt, was ich zu besitzen meinte und was ich verlor.
    Fedia aus Jüterbog war eine Person, die mir von Anbeginn zu schaffen machte. Unsere Begegnung um Palmarum im Fläming hatte sie für mich eingenommen, hat sie aber auch denken lassen, so werde, so müsse es zwischen uns weitergehen. Hat sie zu dem Irrtum verleitet, ich sei ein unternehmerischer Kerl für vielversprechende Lagen. Was mich, nicht immer erfolgreich, versuchen ließ, sie nicht zu enttäuschen.
    Als im Stadtkrug von Jüterbog die Polizeistunde schlug, sagte die Polizistin, ich habe sie aus dem Haus geholt, ich solle sie auch nach Hause bringen. Jochen Bantzer plus vereinigte Ortsansässige bildeten nicht gerade Spalier, aber wir kamen in Frieden auf die Straße. Es werde regnen, sagte Fedia, und ihre Eile war mir recht. Soweit ich einen Mut besaß, hatte ich ihn an die Konfirmation verbraucht. Auch erwies sich die Wachtmeisterin als etwas groß, und dies waren fremde Straßen. Für mich, nicht für die Polizistin.
    Eine städtische Beleuchtung hatten sie damals in Jüterbog sowenig wie in den meisten Teilen von Berlin, doch brauchte Fedia keine. Als ich meinte, gegen den Himmel das Haus zu sehen, dessen Fenster nach all dem Einsegnungsglanz längst dunkel waren, zog sie mich in eine überdachte Aussparung zwischen zwei Gebäuden. Hier gelte es Abschied nehmen; ihre Tanten hätten einen leichten Schlaf. Die Häuserlücke war eine Höhle, in der zu uns beiden der spärlichste Konfirmand nicht untergekommen wäre. Unsere Nähe zog eine andere nach sich. »Na gut«, sagte Fedia, »solange es regnet.«
    Ich hatte den Regen nicht bemerkt. Ich hatte nur Fedia gemerkt und daß ich zu ihr wollte. »Solange es regnet«, sagte sie, und ich dachte, Regen läßt wachsen. Manchmal war es, als wolle mir der nasse Wind die Ohren waschen und streife meinen Hals, aber es galt nicht weiter. Wie ich den Vorteil spürte, den es macht, wenn eine ein wenig größer ist, und wie ich meinte, nun müsse ich nur ruhig und aufrecht sein, sagte Fedia, als räume sie sich etwas ein: »Na gut, solange es regnet.«
    In der Bahn über den Fläming zurück nach Berlin fragte Jochen Bantzer, wie es gewesen sei, und ich sagte: »Es hat geregnet.« Daraus ist über die Jahre und im wuchernden Aufwuchs von Bantzers Erzählungen ein mitteldeutscher Blizzard geworden, eine kalte Katastrophe, die unter der jüterbogschen Totschlagskeule soviel österlichen Schnee aufhäufte, daß Jochen Bantzer, der trotz seines Umzugs nach Westberlin im Herzen ein östlicher Kommunalpatriot war, aus Sorge, es könne jemand die städtische Antiquität aushängen und nach Texas verbringen, unter dem Schlagwerkzeug in allem Hagel und Eis so lange wachte, bis sich die Wetter legten. Nein, dem Magistrat habe er von seiner Tat nichts mitgeteilt; zum einen neige er nicht zum Wichtigmachen, zum anderen war es Zeit, Fedia und mich durch den Schnee zum Frühzug nach Berlin zu schaffen.
    Mit Geringerem begnügte Jochen sich selten, und ich traf es nur allzu genau, als ich ihm einmal sagte, zwar bestaune ich, daß einer aus reiner Renommisterei so herausstechende Details wie keulenhohen Osterschnee erfinde, aber seine Aufschneidsucht werde ihn eines Tages noch mit einem vakanten Strick verbinden.
    Ich dagegen dürfte früher oder später in den Glossen der Deutschen Lehrerzeitung landen, antwortete er, und zwar, wie er ohne Not betonte, meines Hanges zur überladenen Formulierung wegen. – Was die Liebe zur Vielwörterei betraf, gab ich ihm recht. Vakanter Strick! Als ob sich solche Vakanz nicht voraussetzt, wo einer aufgeknüpft werden soll.
    Wir kabbelten uns und gingen ein jeder in seinen Teil der Welt. Der für Bantzer längst nicht mehr Jüterbog hieß, sondern Westberlin, und für mich längst nicht mehr die Nordsee war, sondern Ostberlin. Nur daß ich den Ausdruck Ostberlin vermied. Ich sagte

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