Okarina: Roman (German Edition)
Berlin , oder Sowjetsektor oder Demokratischer Sektor. Berlin, Hauptstadt der DDR , sagte ich später nur, wenn ich mich lustig machen wollte. Nicht über Berlin oder die Hauptstadt, aber doch über Benennungsriten, mit denen wir die sperrige Wirklichkeit zu überwinden suchten.
Zwischen Bantzer und mir ist es über den Gebetsmühlen-Zusatz Hauptstadt der DDR nicht zu weiterer Kabbelei gekommen,weil sich mein zweites Gesicht insofern bewährte, als er zwar nicht an einen Strick, aber doch in eine vakante Zelle geriet. Ich war überzeugt und weiß es inzwischen: Auf nichts weiter hin als sein münchhausisches Maul.
Wir kommen dazu, bleiben jedoch vorerst bei dem Ereignis, dessentwegen ich, als ich von Fedia zu erzählen begonnen hatte, an Jochen Bantzer geriet. Es ging um Fedia, und Jochen war es, der davon berichtete. Lange nach dem Fläming, lange vor dem Knast war er am Telefon von Moeller & Moeller: Ob ich von der Sache mit Fedia wisse.
»Welcher Sache?«
»Also nicht?«
»Nein.«
»Du rätst es nicht.«
»Verrätst du es?«
»Warum rufe ich wohl an?«
»Was ist mit Fedia?«
»Du ahnst es nicht?«
»Nicht im geringsten.«
»Willst du raten?«
»Hören will ich.«
»Fedia bist du los.«
»Weiter!«
»Die seid ihr los.«
»Meinst du es, wie ich es meine?«
»Genau so.«
»Kann nicht sein.«
»Ist aber.«
»Wann?«
»Dieser Tage.«
»Wo ist sie?«
»Nicht bei mir. In Sicherheit.«
»In Sicherheit?«
»Vor denen, die sie wiederhaben wollen. Willst du sie wiederhaben? Dann ist sie auch vor dir in Sicherheit.«
»Paß auf, Bantzer«, sagte ich, »du sagst alles, was du weißt. Du besiegst dich und sagst die Wahrheit. Ich besiege mich und sage, daß du immer die Wahrheit sagst.«
»Oder?« sagte Jochen Bantzer.
»Oder ich erschlage dich«, sagte ich und weiß seither, was Totschlag ist und was Affekt.
»So möchte man immer wählen können«, sagte er und rückte endlich die Nachricht heraus: »Wie bekannt, war sie auf Vopo-Lehrgang. Einem für Buchhaltung. Auch gut – die Vopo lernt aus dem Umgang der Amis mit Al Capone …«
»Jooochen!«
»Weiter mit Soll und Haben«, sagte er, »ihr Vorgesetzter, ihr Hauptbuchhalterhauptmann soll ihr ans Kontor gewollt haben. Da läßt sie nicht jeden ran. Nein, ich sage nicht, wen sie da ranläßt.«
»Weiter!«
»Zufort«, sagte er. »Ihr Buchführerführer hat sie bedroht. Entweder, oder sie kann statt Kontenaufsicht in Berlin Knastaufsicht in Bautzen studieren. Da ist sie nach Marienfelde. Wo sie natürlich nicht mehr ist. Als Vopo-Buchhalterin, denk ich, sagt sie zur Stunde vor zuständigen Ohren alle roten und schwarzen Zahlen auf, die sie kennt.«
»Unsinn, sie kennt nichts, sie lernte erst. Unsinn, sie läuft da nicht hin. Unsinn, sie läuft nicht weg.« – Ich rief es Bantzer zu und schrie es Fedia zu.
»Wenn du es sagst«, sagte er, und ich dachte, als ob es wichtig wäre: Auch der hat bei Gabriel Flair den vergifteten deutschen Satz gelernt. Und ich dachte, als ob es wichtig wäre: Auch der hat von Fedia und mir gewußt. Und ich dachte: Wieso weiß der jetzt von ihr?
Natürlich war er über uns im Bilde, denn Jochen Bantzer aus dem pruzzischen Winkel Jüterbog, den er zuweilen besuchen durfte, gehörte zu Ronalds Zirkeln, die auch Fedias und meine Zirkel wurden. Nur am Rande gehörte er dazu, aber am westberliner roten Rande. Was nicht mehr zählte, seit Fedia den Zentralen etwas erzählte. Verfluchtes Wortgedöns. Verdammtes Flair-Vermögen, in einen kurzen Alltagssatz langgehegte Abneigung zu legen.
»Wenn du es sagst«, sagte Jochen Bantzer und brachte darin unter, was sich wegen Fedia und mir in ihm versammelt hatte. Ob er sie nur anschmachtete, ob sie von ihm abgefallen war,ich wußte es nicht. Weil Fedia meine frühe Frage mit der Einfürallemalauskunft beantwortet hatte, wir beide stünden einander nicht in Meldepflicht. Nicht von ungefähr wollte sie Generalin werden; sie war es, die hier die Fragen stellte, und sie machte mir Angst vor ihren Strafen.
Kam es zu Biegen oder Brechen, sagte sie nicht, nie wieder werde sie dies oder jenes tun; sie würde es nur nicht wieder tun. Sie sagte nicht, nie wieder werde sie zu mir in Josef Stalinskis Eiskarren kriechen; es würde nur nie wieder sein. Sie sagte nicht, nie wieder würden wir im Regen in einer überdachten Nische wohnen; es wäre nur einfach vorbei.
Jetzt galt ihr Nie wieder. Ohne Verfehlung von mir, wie ich meinte. Ohne Bescheid von ihr, wie ich sah. Wir hatten uns, was
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