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Okarina: Roman (German Edition)

Okarina: Roman (German Edition)

Titel: Okarina: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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umso mehr für Josef Stalinskis Eiskarren.
    In den krochen die Polizistin und ich, als ihr Urlaub und ein Besuch der Bick-Verwandten auf dasselbe Wochenende fielen. Ein Frühlingsweekend immerhin, so daß sich in der Schönholzer Heide ankern ließ. Anruf genüge, hatte Ronald gesagt, und der genügte tatsächlich. Obwohl er seit einiger Zeit kein Eis mehr ausfuhr, sondern per S-Bahn, angetan mit Cordzeug von C & A und Kreppschuhen von Schuster Leiser, hochwertige West-Erkenntnisse in den lernbegierigen Osten beförderte, zeigte er sich gleich bereit, für uns Pferd und Wagen bei seinem Nachfolger auszuleihen.
    Nach kurzem Zögern, weil ich selber kutschieren wollte, übergab er mir die Arche. Wir verabredeten die Rückgabemodalitäten, und Ronald rüstete zum Aufbruch. Er bat mich, Fedia zu grüßen und ihr zu sagen, sie möge die Augen offenhalten, der General wohne in dieser Ecke. Wie bekanntlich der bekannte Genosse Gabriel Flair nicht anders.
    Im Augenblick, da Ronald sich anschickte, mir die Hand zu reichen, bedachte er sich und fügte seiner Rede Einzelheiten hinzu, die mir zunächst nicht wichtig schienen. Womöglich sei dies Gelände für eine konspirative Fuhre nicht geeignet, sagte er. Weil die Bewohner der nahen Intelligenz-Siedlung, fortschrittliche Künstler allesamt und, soweit schriftliche Künstler, sämtlichst von ihm gelesen, bestimmt zu grüblerischen Spaziergängen durch die Heide neigten. Dergleichen solle der kämpferischen Kunst bekommen. Wie er und ich durch Umgang mit Flair längst wüßten, seien progressive Kunstschaffende ungeniert neugierig. Wenn die den Firmennamen am Wagen läsen, würden sie nach dessen Herkunft fragen. Er habe Ähnliches erlebt. Aber ihm sei die Ablenkung willkommen gewesen. Während wir …
    »Ist gut, Fuhrmann«, sagte ich, »wir werden alle Neugierigen an dich verweisen. Oder ich übermale den anziehenden Namen mit einem anderen. Was meinst du, wäre Ronald Slickmann unauffällig genug?«
    Er hob die Hände und schritt davon. Ich aber brachte MS Josef Stalinski auf halbe Kraft voraus und wunderte mich, weil sich trotz meiner navigatorischen Mühen die Frage nicht verlor, was Ronalds aufwendige Rede in Wahrheit besagen wollte. Es dauerte, bis ich einen Reim auf sie fand. Zeit verging, ehe ich begriff, daß der Fuhrmann ein unbedachtes Wörtchen, ein seltsam unpassendes persönliches Fürwort hatte überdecken wollen.
    Der General wohne dort, hatte er gesagt. Nicht sein General, sondern der General. Als ob es nur einen von dieser Sorte gebe oder als ob Fedia und er denselben Kommandeur über sich hätten. Was sich natürlich nicht so verhielt, weil sie der Polizeigeneralität mit doppelter Buchführung und er ganz anderen Strategen mit gespaltener Zunge und doppelten Kofferböden nützlich war. – Als ich nach Jahren das Gespräch wieder beim Wortlaut hatte, machte alles kaum noch einen Ausschlag. Nicht, daß es Gevatter Slickmann nicht mehr gegeben hätte, den wird es immer geben, aber Fedia gab es nicht mehr und den Wagen wahrscheinlich ebensowenig, in dem sie und ich auf Lustfahrt, die eine lustige Fahrt geworden ist, in die Schönholzer Heide gingen.
    Ich habe nicht Kenntnis, wer inzwischen Herr der Siedlungshäuschen ist, in denen zur fraglichen Zeit ausgesucht verdienstvolle volksnahe Künstler und Kämpfer wohnten. Auch auf sie trifft vermutlich zu, was ich einen polnischen Künstler im deutschen Fernsehen über einen polnischen Kämpfer habe sagen hören: »Er wird jetzt anders bewertet«, sagte der eine melancholisch über den anderen. Es war ein Satz wie von Gabriel Flair. Ein einfacher deutscher und auch polnischer Satz. Einer, in dem sowohl die einfache deutsche als auch die einfache polnische als auch die einfache deutschpolnische Geschichte steckten, die alle drei jetzt anders bewertet werden.
    Wohingegen der Teil von Fedias und meinem Erleben, der hier zur Sprache kommt, bei seiner frühen Bewertung bleiben kann. Natürlich stellte der Karren keinen Ersatz der vertrauten Herberge beim Ehepaar Bick dar, die uns am Tag des Ausritts in die Heide aus Gründen der anarchistischen Moral versperrt worden war. Daß dann in dem beräderten Kasten ganz andere Lustbarkeiten als die geplanten gediehen, hätte ich argwöhnen können, habe ich aber nicht.
    Das Zuckeln des Gauls, das Hupen der Automobilisten, denen ich auf dem Weg zum Rendezvous mit der Wachtmeisterin nicht scharf genug rechts durch den Rinnstein der grenznahen Kurve schrammen konnte, während das

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