Okarina: Roman (German Edition)
immer noch in Stalinskis Kutsche tun. Oder an Orten, die synchron zur Sowjet-Sukzession über Chruschtschow, Breschnew, Andropow, Tschernenko und Gorbatschow plus Jelzin und Putin vom möblierten Mietgelaß bei Bick & Bick bis unters Strohdach in Iswalde gediehen. Und ich, Himmel, habe beinahe alle diese Kerle aus nächster Nähe gesehen.
Ich möchte nicht am Feuer des Vesuv mein Süppchen wärmen, indem ich sagte, aus der Geschichte zwischen Fedia und mir sei nichts geworden, weil Chruschtschow und Kennedy nicht miteinander konnten. Ehe ich zeige, daß es sich aber akkurat so verhielt, gebe ich zu Hauptwachtmeisterin Fedia Jülich die Erklärung ab, daß ich nicht einmal weiß, ob sie diesen Rang noch innehatte, als sie sich in die Fernen von Marienfelde beförderte.
Keine kannte ich, die so unvergrübelt und doch bedacht in allem lebte. Sie hatte einen Blick für Möglichkeiten und faßte nichts an, was sie nicht tragen konnte. Was getragen werden mußte, faßte sie richtig an. Ihre Weltvertrautheit hatte damit zu tun, daß sie zehn Jahre alt war, als der Krieg begann, und noch keine sechzehn, als er endete. Nach der Schule mußte sie ins Pflichtjahr auf das Arnimsche Gut. Von Bettinens Salon und Achims Romantik keine Spur, aber der Friede, der von Liebknechts Zuchthaus Luckau bis Wiepersdorf auf Stalinorgelnritt, betrug sich friedlich, weil sie eine dürftige Jungmagd war, zu der selbst weitgereisten Soldaten nur einfiel, daß man sie füttern müsse.
Das Ende des Reiches brachte das Ende ihrer Mägdepflicht; sie trat beim Gutsbuchhalter, der nun die Gemeinde verwaltete, als Gehilfin ein. Dort versah sie sich mit allen Kenntnissen, die bei dem borussischen Rechner zu holen waren Als ein Wechsel der Verhältnisse ratsam schien, weil sich ihre Dürftigkeit trotz der Nachkriegsdiät verlor, antwortete sie auf ein Stellenangebot der Kreispolizei. Dort führte sie Gehaltslisten, brachte Ordnung ins Schriftliche von Küche und Kammer, begegnete zweckdienlichen Hinweisen und vorsichtigen Beschwerden mit einem verläßlichen Ablagesystem, wußte mit der aufkommenden Planung etwas anzufangen und war in aller Ruhe dabei, sich zur zivildienstlichen Buchhalterin auszuwachsen.
Nur benötigte der Behördenleiter, in dem niemand den Sherlock Holmes von Jüterbog gesehen hätte, einen buchhalterischen Watson, der ihm in besonders kniffligen Fällen das Kontokorrentkauderwelsch der Verdächtigen in korrektes Steuerfahnderdeutsch übertragen sollte. Das beigezogene Zivilfräulein las aus Zeichen, Zahlen, Summen und Lücken Unterschiede zwischen Soll und Haben, die sich dem Chef zum Unterschleif übersetzten. Was Wunder, daß die tüchtige Assistentin fortan öfter zum Einsatz gebeten wurde.
Kein Wunder auch, sage nun ich und sage es mit zornigem Verständnis, daß der uniformierte Leiter gegenüber der zivilen Hilfskraft mehr und mehr zu hilflosem Seufzen und hilfeheischendem Hundeblick neigte. Weshalb sich seine Angestellte bei allernächster Gelegenheit, die eine polizeiliche war, zu einem Lehrgang der Landesinnenbehörde meldete. Weil sie den mit Glanz absolvierte, wurde sie befördert und im innersten Inneren von Berlin postiert. Von wo sie nur noch nach Jüterbog im Fläming reiste, wenn dort Feste zu feiern waren. Konfirmationen zum Beispiel, auf deren einer ich mich als Gast ereignete.
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Fedia ist dann des öfteren zu Gast in meiner Untermieterkammer gewesen, was sich heute eher als damals von selbst versteht. Doch kamen uns die Ansichten Bakunins und Plieviers zugute. Wie den Staat im ganzen, lehnten meine anarchistischen Wirtsleute auch seine Beherbergungsvorschriften ab. Wer bei ihnen nächtigen dürfe, bestimmten sie, und wer bei mir nächtige, bestimme außer der betreffenden Person alleine ich, sagten Leonhard und Adele und ließen über diesen Grundsatz hinaus nur den vom Primat der Familie gelten. Es war ihnen dies aber ein Primat, das eines der Familienmoral einschloß. Was bedeutete, daß Fedia bei mir übernachten konnte, wann immer ihr das Polizeiregiment Urlaub gab. Es sei denn, die Zehlendorfer Verwandtschaft kam einschließlich eines Knaben, der als empfindsamer Star der Schöneberger Sängerknaben galt, zu ausuferndem Besuch. Mit Rücksicht auf den minderjährigen Künstler und aus Gründen der Sittlichkeit wurde Fedia dann gebeten, am Ende einer verstohlenen Visite in ihr staatliches Quartier zurückzukehren. Woraus sich erklären sollte, warum ich mich für Sängerknaben nie erwärmen konnte. Dafür
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