Okarina: Roman (German Edition)
Roß und sein Treiber sogar den Radfahrern, wie ich deren Geschrei entnehmen mußte, entschieden zu langsam zuckelten, all das machte mich glauben, alle Welt und besonders der ostberliner Ortsteil Pankow-Schönholz nehme die wundersame Fuhre und besonders mich wundersamen Fuhrmann als besondere Vorkommnisse wahr.
Wie mich das im Zuge der Fortbewegung plagte, legte es sich bei Stillstand und verknoteten Zügeln keineswegs. Das sonst stille Gehölz wirkte geradezu überlaufen, und jeder, der die Hauptverkehrsstraße Wilhelmsruh-Schönholz benutzte, wußte anzuzeigen, wie sehr er sich wundere über den dürftigen Wagen, der mit einem dürftigen Pferd bespannt und allem Schein nach unbemannt wenige Meter vom bahnhofsnahen Straßenbogen entfernt in der Einfahrt zum alten Schießplatz vor Anker stand.
Je länger ich das Arrangement bedachte, dessen Teil ich ebenso wie das Zugtier und der Wagen war, desto mehr festigte sich der Verdacht, Freund Slickmann habe mich zu Zwecken des Humors verladen und mir als Listiger vom Stamme der Danaer einen trojanischen Zossen zum Geschenk gemacht. Vorsichtshalber teilte ich meiner Kriminalistin, die endlich erschien, von der Vermutung mit; da traf es sich, daß sie Ähnliches angenommen hatte. Im Maße, wie wir einander mit Einfällen zu dieser Sache bedienten und dem Ausweichmanöver zugunsten der Nichtgefährdung eines Sängerknaben keinerlei Albernheit schuldig blieben, verlor sich alle Feierlichkeit zwischen ihr und mir. Nicht anders, als sei unser Nachen an einem menschenfernen Strand vertäut, jagten wir uns in ein Gelächter, unter dem sich die mürben Federn von Stalinskis Eiswagen bogen.
Welch Letzteres anders gedacht gewesen war und welch Ersteres wir zu unterdrücken suchten, da uns ein ältliches Passantenpaar gefährlich nahe kam. Zeitweilig hörten wir die Leute mehr, als wir sie sahen, aber zum Glück war Slickmann ein Konspirator, der keine mobile Hütte, Kühlwagen hin, Kühlwagen her, Sicht geht vor Deckung, ohne perspektivesichernden Ausguckschlitz gelassen hätte. Der Mann, der vor dem Fahrzeug aufgebaut stand, sprach mit quengelnder Stimme, von der ich meinte, sie öfter im Radio gehört zu haben. Die Frau klang wie seine Gattin und dazu wie eine Persönlichkeit, die des Verweisens zwar müde war, jedoch aus Pflicht wie Neigung nie darin ermüden durfte.
»Wieso steht hier ein Pferdewagen?« sagte die Frau.
»Ich sehe jetzt keinen Pferdewagen«, sagte der Mann.
»Du siehst diesen Pferdewagen nicht?«
»Ich sehe ihn jetzt nicht.«
»Du willst ihn nicht sehen.«
»Ich will ihn jetzt nicht sehen.«
»Einen Kutscher sehe ich auch nicht«, sagte die Frau.
»Warum sagst du, du siehst den Kutscher auch nicht? Ich bin es, der schlecht sieht, und du bist die, die gesagt hat, sie sieht einen Pferdewagen, während ich gesagt habe, ich sehe jetzt keinen. Warum sagst du da auch ?«
»Es bezog sich auf den Wagen. Ich sprach vom Wagen und vom Kutscher. Ich sagte: Ich sehe einen Wagen. Du sagtest, du siehst keinen. Danach erst sagte ich, ich sehe auch keinen Kutscher. Der Kutscher bezog sich auf den Wagen. Der Kutscher kommt zum Wagen hinzu, und ihn sehe ich auch nicht.«
»Dann hättest du sagen sollen: Ich sehe eine Kutsche, aber ich sehe keinen Kutscher.«
»Es ist keine Kutsche, es ist ein Wagen.«
»Dann hättest du sagen sollen: Ich sehe einen Wagen, aber ich sehe keinen Kutscher.«
»Manchmal gehst du zu weit. Du siehst nicht besonders gut und sagst mir, wie ich dir von dem, was ich sehe, reden soll.«
»Ich sehe nicht besonders gut, ist gut. Ich sehe zusehends, zusehends ist auch gut, ich sehe zusehends schlechter. Ansonsten geht es nicht um das, was du siehst, sondern um die Weise, in der du davon sprichst«, sagte der Mann, und seine Stimme klang vor Lust am Streit noch heller. »Du benutzt das Wort auch , wo überhaupt keines hingehört, und hörst nicht, wenn ich sage, ich sehe jetzt keinen Wagen. Ich könnte ebensogut sagen: Ich sehe jetzt kein Pferd. Ebensogut könnte ich sagen: Ich will jetzt keinen Wagen und kein Pferd sehen. Du überhörst das entscheidende Wort.«
»Welches wäre?«
»Das entscheidende Wort ist jetzt . Ich versuche gerade zu sagen, was ich von dem Buch von dem Mailer halte, da kommst du mit einer Kutsche. Es erregt mich, wenn man über diesen Mailer spricht, als wäre unsereins nicht da. Als hätten mich nicht internationale Fachkreise mit Tolstoi verglichen – davon, daß man mich auch mit Stephen Crane verglichen hat und der
Weitere Kostenlose Bücher