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Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Titel: Oksa Pollock. Der Treubrüchige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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kakifarbener Wolle, die aschblonden Haare, die sehnigen Hände. Plötzlich hatte sie ein Bild vor Augen: Pavel und sein Tintendrache an einem aufgewühlten Himmel über der Insel der Treubrüchigen, die sich karg und zerklüftet unter ihnen ausbreitete. Ihr Vater schien dieses Wesen, das in ihm wohnte und das ihn noch vor ein paar Monaten schier zu zerreißen gedroht hatte, inzwischen vollkommen zu beherrschen. Die anfangs so qualvolle Koexistenz der beiden hatte sich ganz allmählich in ein harmonisches Miteinander verwandelt. Und heute stand Pavel am Steuer des Bootes und führte die Rette-sich-wer-kann in eine gemeinsame, aber ungewisse Zukunft.
    Oksas Überlegungen wurden von einem Aufruhr unterbrochen, der die beiden in der Kabine abgestellten Boxen erschütterte. Die Boximinor! Die Wackelkrakeele von Dragomira und Oksa kreisten wie zwei große Hummeln darüber. Aus dem Inneren drang ersticktes, empörtes Geschrei.
    »Alarm! Alarm!«, riefen die Krakeele. »Meuterei an Bord!«
    »Jetzt schon?«, fragte Oksa lachend. »Wir haben doch gerade erst abgelegt!«
    Abakum ließ in die Schlösser der beiden Boxen einen grünen Skarabäus mit besonderen Fähigkeiten krabbeln. Sofort öffneten sich die Boximinor und gaben den Blick auf Dutzende größerer und kleinerer Fächer frei, in denen sich die miniaturisierten Geschöpfe und Pflanzen befanden. Ein heftiges Geschrei schallte ihnen entgegen: Offenbar waren die drei Sensibyllen im offenen Streit mit Abakums Centaurea.
    »Du produzierst viel zu viel Feuchtigkeit!«, beklagte sich Dragomiras Sensibylle, die zu einer winzigen fedrigen Kugel, kaum größer als eine Erbse, verkleinert war.
    Ihre Artgenossinnen hatten sich aus dem benachbarten Fach zu ihr gesellt und scharrten mit den Füßen, während die Blätter der majestätischen Pflanze über ihnen schnell auf und ab wogten.
    »Je mehr man mir auf die Nerven geht, umso mehr schwitze ich«, erklärte die Centaurea.
    »Also, ich warne euch, ich krepiere hier bald!«, rief eine andere Sensibylle. »Ich habe schon eine fürchterliche, traumatisierende Reise vom Haus meines Meisters Abakum hinter mir, und ich ertrage es nicht, auch nur einen einzigen weiteren Zentimeter in dieser Kiste zurückzulegen.«
    »Findet ihr, dass ich zu viel schwitze?«, fragte plötzlich Dragomiras Kapiernix.
    »Ich weigere mich, weiter mit diesen Pflanzen zu reisen, die ­einen derart schlechten Atem haben!«, empörte sich die dritte Sensibylle.
    »Pflanzen haben keinen Atem, ihr Hühner!«, mischte sich Leomidos Getorix ein. »Sie verströmen einen Duft.«
    »Mag sein, aber wenn man zusammen reist, dann gibt man sich doch Mühe, die anderen nicht zu belästigen! Man verhält sich neutral …«
    »Hat jemand Erdnüsse?«, fragte der Kapiernix ohne jeden Zusammenhang. »Ich hätte gerne Erdnüsse. Das entspannt mich.«
    »Ach, weißt du überhaupt, was Anspannung ist?«, mokierte sich der Getorix.
    »Ich glaube, ich werde gleich ohnmächtig«, gab Leomidos Goranov bekannt. Sie zitterte bereits von den Wurzeln bis zu den Blättern. »Dieses Zusammengepferchtsein … dieser nervtötende Lärm … das ist unerträglich!« Sie ließ schlagartig die Blätter hängen.
    Oksa beobachtete die Szene über Abakums Schulter hinweg. Rings um die Goranov fingen drei kleinere Pflänzchen an zu zittern und riefen panisch »Mama!«, bevor auch sie kollabierten. Oksa konnte nicht mehr anders: Sie musste schallend lachen.
    »Selbst in Miniaturgröße sind sie absolut irre.«
    »Hättet Ihr vielleicht Erdnüsse für mich?« Der Kapiernix hatte Oksa erblickt und wandte sich mit seiner Frage an sie, was Oksa nur noch mehr zum Lachen brachte.
    »Ich möchte darauf hinweisen, dass wir inzwischen eine Luftfeuchtigkeit von fast neunzig Prozent erreicht haben und die Außentemperatur an die fünf Grad grenzt«, meldete sich jetzt wieder die erste Sensibylle zu Wort. »Wenn man uns umbringen will, dann könnte man es nicht besser anstellen.«
    »Seid gefälligst nicht so egoistisch!«, warf nun die Merlikokette ein, ein spindeldürres, auf die Größe einer Kirsche reduziertes Geschöpf. »Glaubt ihr vielleicht, ihr seid the only ones , die hier leiden? Seht mich an! Von diesem Geschaukle wird mir ganz übel, ich bin ja schon grün wie ein Salatblatt.«
    »Hast du was gegen die Farbe Grün?«, regte sich eine Pulsatilla mit ausladenden Blättern auf.
    »Die Merlikokette muss sich übergeben, rennt um euer Leben!«, grölte der Getorix und hopste wie ein Irrer umher.

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