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Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Titel: Oksa Pollock. Der Treubrüchige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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Aber was machte ihr in dieser dramatischen Situation am meisten Sorgen? Dass Gus zwei oder drei Jahre älter sein würde als sie!
    »Total peinlich«, schimpfte sie vor sich hin. »Als gäbe es nichts Wichtigeres.«
    Sie holte tief Luft und blickte zu Zoé. Ihre Freundin sah schlecht aus. Ihre Augen waren gerötet und ihre Lippen vor Sorge ganz weiß. Von allen Rette-sich-wer-kann wirkte sie am mitgenommensten. Das Wiedersehen mit Mortimer hatte es ihr sicher nicht gerade leichter gemacht.
    »Er hat sich sehr verändert, oder?«, sagte Oksa, um ihre Freundin zum Reden zu bewegen.
    »Wer?«
    Offenbar hatte Zoé keine Lust, das Thema anzuschneiden.
    »Mortimer«, sagte Oksa nachdrücklich. »Er ist nicht mehr derselbe.«
    Zoé seufzte. Was Oksa nicht wusste, was niemand wissen konnte, war, dass Zoé von unermesslicher, heftiger Verwirrung erfasst worden war. Sie sah ihre Freundin an, hin und her gerissen zwischen dem Bedürfnis, sich ihr anzuvertrauen, und ihrer Gewohnheit, alles für sich zu behalten. Oksas Blick ermutigte sie zu reden – sich auszusprechen, konnte einem so vieles leichter machen.
    »Ich dachte, sie würde ihn umbringen!«, flüsterte Zoé kaum hörbar. »Ich habe solche Angst gehabt, Oksa. Mir ist klar geworden, dass ich meine Großmutter gar nicht richtig kenne, und es beunruhigt mich zutiefst, sie in diesem Zustand zu sehen.«
    »Sie leidet schrecklich«, erwiderte Oksa mit zugeschnürter Kehle.
    »Das ist kein Grund«, sagte Zoé mit brüchiger Stimme. »Ihre große Rachsucht macht sie Orthon so ähnlich. Es hat mich schockiert, das zu sehen, ich fühle mich so zerrissen.«
    Sie holte tief Luft, und Oksa wusste nicht, was sie tun sollte.
    »Weißt du, es ist fast wie ein in sich geschlossener Kreis, der die Kraft des Bösen konzentriert und verstärkt. Mein Vater ist von seinem Onkel umgebracht worden. Es ist schon schlimm genug für mich, das zu erfahren. Aber stell dir mal vor, wie es erst für meine Großmutter sein muss. Ihr Zwillingsbruder hat ihren Sohn umgebracht! Ihr einziges Kind! Mir wird das jetzt erst klar, aber sie hat es bestimmt schon seit Monaten geahnt. Warum hat er das getan, Oksa? Warum?«
    Zoé verbarg das Gesicht in den Händen. Oksa sah sie wortlos an. Weder sie noch irgendjemand anders kannte die Antwort. Sie spürte, wie schlecht es Zoé ging, wie sich ihr Leid durch das Gespräch noch intensivierte, und sie konnte nichts daran ändern. Gar nichts. Dennoch stand sie auf und drängte ihre Großcousine ein Stück zur Seite, um sich neben sie setzen zu können. Sie kramte in ihrer Umhängetasche und steckte Zoé eine kleine flache Lederbörse mit Körnern darin zu. Ihr Talisman, der dazu dienen sollte, den Himmel aufzuhellen, wie ihre Großmutter gesagt hatte. Zoé ließ den Kopf auf Oksas Schulter sinken und wischte sich die Augen mit dem Ärmel ab.
    »Danke«, flüsterte sie.
    Oksa lächelte ein wenig – die Wolken an Zoés Himmel waren mit Sicherheit weitaus dunkler und bedrohlicher als die an ihrem …
    »Ich finde auch, dass Mortimer sich verändert hat«, sagte nun Zoé.
    »Er sah nicht aus, als würde er sich besonders wohlfühlen«, stimmte Oksa zu. »Er traute sich anscheinend nicht, zu dir zu kommen.«
    Zoé antwortete nicht, in Gedanken war sie bei ihrem letzten Treffen mit Mortimer im Hyde Park. Es hatte auch etwas Gutes gehabt: Sie hatten sich beide für eine Seite entschieden.
    »Er hat dich aber nicht aus den Augen gelassen«, fuhr Oksa fort.
    Zoé ließ sich matt zurücksinken. Es stimmte, Mortimer hatte sie die ganze Zeit angesehen. Und was sie in seinen Augen gelesen hatte, verwirrte sie: Er schien ihr nachzutragen, dass sie sich nicht den Treubrüchigen angeschlossen hatte. Und sie las Traurigkeit darin … Oder war es Mitleid? Wenn es ihr doch nur gelänge, ihr Herz zu verschließen und nur Gutes an sich heranzulassen. Doch sie wusste, dass sie das niemals schaffen würde. Egal, Hauptsache, Gus überlebte.
    »Die Transfusion ist abgeschlossen«, sagte plötzlich Annikki, die unbemerkt zu ihnen getreten war.
    Mit äußerster Vorsicht entfernte sie die Kanüle aus Gus’ Arm. Gus ließ es vollkommen reglos über sich ergehen, alle dachten, er sei bewusstlos. Umso größer war die allgemeine Überraschung, als er sich plötzlich mit aufgerissenen Augen aufrichtete. Annikki machte einen Satz nach hinten.
    »Wie geht es dir?«, fragte Oksa aufgewühlt.
    Gus sah sie unsicher an.
    »Komisch«, sagte er. »Was ist passiert?«
    Bevor Oksa ihm irgendetwas

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