Oksa Pollock. Der Treubrüchige
zu. Sie beschworen sie im Stillen, Orthon nicht weiter zu provozieren. Gus’ Leben lag in seinen Händen, und alle spürten, dass nicht viel fehlte, um die Situation vollends eskalieren zu lassen.
»Tja, wenn es euch lieber ist«, sagte Orthon nun mit eisiger Stimme, »gibt es eine dritte Alternative. Es existieren zwei Extrakte des Gegengifts: erstens das, was sich hier bei mir, in diesem Raum, befindet. Und zweitens das, was in einem Tresorraum in der kristallenen Höhle, in der ich zusammen mit meinem Vater in den Bergen von Steilfels wohnte, gelagert wird. Wenn meine Unterstützung euch also derartig widerstrebt, steht es euch frei, den Jungen nach Edefia zu bringen und ihm das zweite Extrakt einzuflößen. Ihr dürft aber nicht vergessen, dass er trotzdem die Blutspende eines Mauerwandlers bekommen muss. Das alles unter der Voraussetzung, dass er das Leid, das ihm meine Chiropter zugefügt haben, lebend übersteht. Er ist nur ein Von-Draußen, seine Konstitution ist nicht mit unserer zu vergleichen.«
Er ließ sich zu einem gemeinen Lachen hinreißen.
»Kommen wir zur Sache«, unterbrach ihn Pierre eisig. »Wenn ich es richtig verstanden habe, muss ein Mauerwandler Gus Blut spenden, damit er das von dir erwähnte Gegengift einnehmen kann. Die Schmerzen werden aufhören, aber dafür wird Gus um ein paar Jahre altern.«
»Zwei oder drei, höchstens«, präzisierte Orthon und tat es mit einer wegwerfenden Handbewegung ab, als wäre das nichts.
»Aber wie soll aus einem Von-Draußen ein Mauerwandler werden?«, fragte Oksa ungläubig.
Ein heimtückisches Lächeln breitete sich auf Orthons Lippen aus.
»Ach, nun erkenne ich meine höchst brillante Großnichte wieder!«, rief er. »Die Von-Draußen wie die Von-Drinnen können erst dann zu echten Mauerwandlern werden, wenn sie deren Elixier zu sich genommen haben.«
»Dieses ekelhafte Zeug, das aus dem Rotz der Durchscheinenden besteht?«, rief Oksa angewidert.
Orthon sah sie überrascht an.
»Ich weiß nicht, woher du deine Informationen hast, aber sie sind vollkommen korrekt. Das Blut allein wird nicht genügen. Es wird dem Jungen Aufschub gewähren, bis der Verwandlungsprozess durch das Elixier vollendet wird.«
»Unsinn!«, rief Naftali wütend. »Das Blut genügt!«
»Was weißt du schon davon?«
»Ich musste dieses Teufelszeug niemals nehmen, um ein Mauerwandler zu werden«, erklärte der hünenhafte Schwede. »Das Gen ist während der Schwangerschaft in mein Blut übergegangen.«
Orthon brach in ein Gelächter aus, das unheimlich in dem fensterlosen Raum widerhallte.
»Armer Naftali«, sagte er seufzend. »Deine Mutter war zwar eine hervorragende Chemikerin, aber charakterlich war sie sehr verwundbar … Sicher, ihr Blut hätte genügt, damit du zu einem Mauerwandler wirst, aber dazu hätte sie erst einmal selbst eine Mauerwandlerin sein müssen, als sie mit dir schwanger war! Hat sie dir denn nie erzählt, dass sie das erst lange nach deiner Geburt wurde? Am Anfang warst du ein Handkräftiger, weiter nichts. Deine Mutter hat dir eigenhändig das Elixier eingeflößt, durch das du zu einem echten Mauerwandler wurdest. Auf Anraten deines Vaters natürlich …«
Naftali erblasste. Abakum legte ihm mitfühlend die Hand auf die Schulter.
»Es fiel ihr schwer, zu ihren Schwächen zu stehen«, fuhr Orthon genüsslich fort. »Und dabei hatte sie so viele Skrupel, sie fühlte sich so schuldig. Aber Ocious hat ihr keine Wahl gelassen.«
»Willst du damit sagen, dass er meine Mutter bedroht hat?«, stammelte Naftali. »Hat er sie gezwungen, sich den Mauerwandlern anzuschließen?«
»Dank ihm bist du zu einem unvergleichlich starken Mann geworden! Du solltest ihm dankbar sein, statt diese entsetzte Miene aufzusetzen.«
Naftali sank in sich zusammen. Was er da erfahren hatte, war zu viel für ihn.
»Das spielt doch heute keine Rolle mehr«, flüsterte Abakum seinem niedergeschlagenen Freund zu.
»Um auf deinen Einwand zurückzukommen, lieber Naftali, das Blut ist sicher von großer Bedeutung, doch es wird unserem jungen Freund nicht genügen, um ein Mauerwandler zu werden. Er wird erst dann endgültig gerettet sein, wenn er das Elixier getrunken hat.«
»Worauf warten Sie denn noch? Geben Sie es ihm!«, schrie Oksa aufgebracht.
Orthon verdrehte die Augen und sah sie dann herablassend an.
»Hat einer von euch hier schon mal einen Durchscheinenden gesehen?«, fragte er seine Getreuen, die im Halbkreis um ihn standen. »Und haben wir zufällig ein
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