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Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Titel: Oksa Pollock. Der Treubrüchige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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weiter weg sah sie seine Silhouette im hell schimmernden Mondschein. Er lehnte an dem Geländer, das den Tempel umgab, und drehte den Rette-sich-wer-kann den Rücken zu. Sein schwarzes Haar hing ihm ins Gesicht. Oksa trat zu ihm. Beide schwiegen, den Blick in die Ferne gerichtet.
    »Liebst du ihn?«, fragte Gus nach einer Weile.
    »Wen?«, fragte Oksa abweisend.
    »Na, wen wohl? Deinen schwarz gekleideten Zorro!«
    »Ach, hör doch auf, Gus«, flüsterte Oksa genervt. »Glaubst du wirklich, jetzt ist der richtige Moment, um darüber zu reden?«
    »Wer weiß, vielleicht ist das ja überhaupt unsere letzte Gelegenheit, miteinander zu reden.«
    Oksa sank in sich zusammen.
    »Was würde das ändern?«, fragte sie leise.
    »Aber Oksa … das würde alles ändern!«
    »In dem Fall kann ich deine Frage nicht beantworten, das verstehst du sicher.«
    Gus wandte sich ihr zu und sah sie an. Ein Schleier legte sich über seine dunkelblauen Augen.
    »Das bist du mir aber schuldig! Es ist wichtig für mich zu wissen, ob du ihn liebst oder nicht.«
    »Ach, Gus …«, sagte Oksa nur und wurde blass.
    »Das ist doch ganz normal, oder? Bevor mein ganzes Leben über den Haufen geworfen wird, darf ich doch wohl wissen, wie du zu Tugdual stehst!«
    »Sag mal, willst du mir jetzt eine Szene machen?«, fragte Oksa genervt.
    Gus blickte sie finster an.
    »Ganz und gar nicht.«
    Nervös trommelte Oksa mit den Fingern auf das lackierte Holz des Geländers und mied jede Berührung mit Gus.
    »Darf ich dich jetzt auch was fragen?«, sagte sie nach einer Weile.
    »Hmm …«
    Sie räusperte sich. Sie brachte die Worte kaum über die Lippen.
    »Bist du in mich verliebt?«
    Gus erstarrte. Nur sein stockender Atem verriet seine Verwirrung.
    »Wie kommst du denn auf die Idee?«, fragte er leise, den Blick stur geradeaus gerichtet. »Wieso sollte ein so mutiger, intelligenter Junge wie ich sich in jemanden wie dich verlieben? Schau doch mal in den Spiegel: Du bist hässlich, langweilig, strohdumm und völlig humorlos. Wer sollte schon was von dir wollen außer deinem schwedischen Zorro?«
    Oksa hätte laut gelacht, wenn sie nicht gespürt hätte, wie tieftraurig Gus war. In dem verlegenen Schweigen, das nun folgte, vertiefte er sich in die Betrachtung des verlassenen Dorfs, und Oksa legte ihm verstohlen die Hand auf den Arm. Er versuchte halbherzig, sich zu befreien. Da drehte sie sich zu ihm und drückte ihm einen zarten Kuss auf die Wange.

Vor den Toren von Edefia
    D
as Wasser des Goshun-Sees glitzerte im Licht des Absoluten Wegweisers. Seit Saihan Toroi hatte sich der Himmel nach und nach verdunkelt, als wäre er von einem wuchernden Geschwür befallen. Hin und wieder zuckten Blitze darüber, und unvermitteltes Donnergrollen ließ die Reisenden zusammenfahren.
    Die Sonne versank hinter dunklen Streifen aus Dunst, als die Busse der Rette-sich-wer-kann und der Treubrüchigen am Ufer des Sees ankamen. Orthon war vor lauter Ungeduld die ganze Zeit mit Vollgas gefahren. Sein Lebenstraum – seine Revanche – würde nun endlich in Erfüllung gehen. Er sprang aus dem Bus und stellte sich direkt vor den leuchtenden Wegweiser, bereit, sich seinem Schicksal zu stellen. Auch Dragomira kam nun näher, allerdings zitterte sie am ganzen Leib. Oksa und Abakum nahmen sie bei der Hand. Tränen rannen der Baba Pollock und dem Feenmann über die Wangen, so überwältigt waren sie.
    Der Plemplem stellte sich vor Dragomira hin. »Die Alte Huldvolle, die Junge Huldvolle, ihre Freunde, die Rette-sich-wer-kann, und ihre verfeindeten Reisegefährten müssen den Hinweis entgegennehmen, dass das Tor seiner unmittelbaren Öffnung entgegensieht«, teilte er ihnen mit. »Der Phönix der Jungen Huldvollen erteilt die Meldung seines Herannahens. Wenn die Begegnung erfolgreich abgeschlossen ist, wird der Phönix die Preisgabe des in seinen Innereien geborgenen Gesangs gewähren. Zuvor müssen die beiden Huldvollen einen harmonischen Vortrag der Beschwörungsformel tätigen, um die Öffnung des Tores zu bewerkstelligen.«
    Dragomira wankte. Abakum hielt sie fest und hakte sie dann unter.
    »Alles in Ordnung, Baba?«, fragte Oksa leise.
    Dragomira lächelte ihr traurig zu. Plötzlich wurde Oksa schwindlig. Ihre Großmutter wirkte auf einmal so alt.
    »Verehrte Schwester, nun sind wir endlich da!«, sagte Orthon und hielt triumphierend das Medaillon in die Luft.
    Dragomira nahm es entgegen, ohne ihn auch nur anzusehen oder ein Wort zu sagen. Sie drehte es langsam zwischen den

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