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Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Oksa Pollock. Der Treubrüchige

Titel: Oksa Pollock. Der Treubrüchige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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hat«, seufzte Dragomira.
    Gus hatte sich ebenfalls beeilt – nicht, um den Bus zu lenken, sondern um vor Tugdual den Platz neben Oksa zu ergattern. Tugdual schaute zuerst ein bisschen enttäuscht, doch dann fing er sich wieder und lächelte nur spöttisch. Kaum hatten die beiden Busse die Stadt verlassen, redete Oksa über nichts anderes mehr als über den unglaublichen Strahl, der sie wie ein Magnet anzog. Damit kränkte sie Gus: Er war verletzt und beschämt, weil er Oksas Faszination nicht teilen konnte. Oksa versuchte sich mit aller Macht vom Absoluten Wegweiser abzulenken. Ihre Gedanken kehrten allerdings immer wieder zu dem merkwürdigen Lichtkegel zurück, und zu Gus’ Worten, die sich ihr unauslöschlich eingeprägt hatten. Was, wenn die Von-Draußen nicht durchs Tor kamen? Wenn ihnen der Zutritt verwehrt wurde?
    Wie sich herausstellte, konnten tatsächlich nur die Von-Drinnen und ihre Kinder und Kindeskinder den intensiv leuchtenden Strahl sehen. Seine sagenhafte Farbe war für andere nicht wahrnehmbar. Oksa erinnerte sich an das, was Dragomira ihr erzählt hatte: »Du weißt bestimmt, dass wir Dinge nur dann sehen, wenn das Licht, das sie reflektieren, auf unser Auge trifft. Doch in Edefia strahlt das Licht auf eine ganz besondere Weise. Von Da-Draußen ist Edefias Sonnenmantel ganz und gar unsichtbar und unüberwindlich. Die Von-Draußen können sich ganz in der Nähe Edefias befinden, doch dann tritt ein seltsames Phänomen auf, das unsere Welt unsichtbar macht und die Schritte derer, die sich ihr nähern, in eine andere Richtung lenkt. Vom Himmel aus betrachtet, ist es genauso: Edefia ist selbst für die modernsten Satelliten unsichtbar, vermutlich aus demselben Grund. Wir haben festgestellt, dass das Licht im Da-Drinnen schneller ist als gewöhnliches Licht. Von Edefia aus kann man die Grenze nach Da-Draußen nicht überwinden, aber man kann sie sehen, weil unsere Augen sich genetisch an die phänomenale Geschwindigkeit dieses Lichts gewöhnt haben. Seine Schnelligkeit verleiht ihm eine Farbe, die keiner von uns je im Da-Draußen wiedergesehen hat. Eine unbekannte Farbe …« Diese Erklärung hatte die Baba Pollock ihrer Enkelin gegeben, als sie ihr das Geheimnis ihrer Abstammung enthüllt hatte. Wenn die Von-Draußen den Lichtkegel also nicht sehen konnten und ihre Schritte zudem in eine andere Richtung gelenkt wurden … Oksa schauderte. Ihr Blick schweifte zu Gus.
    »Entschuldigung«, murmelte sie.
    »Ist schon okay«, antwortete Gus und gab sich absichtlich zerknirscht. »Verrate mir einfach nur, wie diese Farbe aussieht, und dann sind wir quitt.«
    Oksa runzelte die Stirn. Wie sollte sie etwas beschreiben, was es nicht gab? Der Strahl war deutlich sichtbar, dennoch war es ihr unmöglich, die richtigen Worte zu finden, um ihn zu beschreiben.
    »Man könnte glauben, dass der Strahl vom Boden ausgeht und irgendwo oben am Himmel endet, aber wenn man genauer hinsieht, kommt er in Wirklichkeit von oben herunter.«
    »So weit kann ich dir folgen«, sagte Gus. »Aber welche Farbe hat er, Oksa? Sag mir, wie seine Farbe aussieht.«
    »Wie nichts, Gus.«
    »Wie kann etwas aussehen wie nichts?«
    »Ich könnte ja sagen, dass es eine Mischung aller Farben ist, die es gibt, aber es stimmt nicht. Ich weiß nicht, Gus. Ich weiß nicht, wie diese Farbe aussieht.«
    Gus seufzte und gab sich geschlagen.
    »Na gut, ich glaube dir«, sagte er.
    Plötzlich blieb der Bus stehen. Naftali stand auf und streckte sich.
    »Es wird bald dunkel, wir sollten versuchen, uns ein wenig zu erholen.«
    Oksa war enttäuscht. Nach einer so weiten Reise und so vielen bestandenen Abenteuern sollten sie doch alle nur einen Wunsch haben: möglichst bald durch das Tor zu gehen! Aber alle schienen sich verschworen zu haben, die Ankunft beim strahlenden Lichtkegel hinauszuzögern.
    Nun kam auch noch Orthon und klopfte wütend an die Tür des Busses.
    »Warum habt ihr angehalten?«
    »Wir werden die Nacht über hier im Dorf bleiben«, erklärte ihm Dragomira ungerührt.
    Orthon warf ihr einen vernichtenden Blick zu.
    »Zeitverschwendung«, wütete er.
    »Dann geh doch vor und warte dort auf uns!«, gab die Baba Pollock zurück. »Wir werden den letzten gemeinsamen Abend hier verbringen.«
    DEN LETZTEN GEMEINSAMEN ABEND? Was sollte das heißen? Oksa erstarrte. Dann stand sie von ihrem Platz auf und wankte zu ihrer Mutter.
    »Mama? Was ist hier los? Sag mir, dass es nicht wahr ist …«
    Ihr versagte die Stimme. Marie drückte sie wortlos

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