Oksa Pollock. Der Treubrüchige

als würden sie in der Luft schwimmen. Pavel trat zu Oksa und legte beschützend den Arm um sie, während die anderen Rette-sich-wer-kann sich um sie scharten. Die Haselhühner plusterten sich auf, stellten sich an den Rand der Gruppe und beschützten mit ihren großen Leibern die übrigen Geschöpfe. Die Treubrüchigen sammelten sich hinter Orthon, der ebenfalls zum Himmel blickte.
    »Das Empfangskomitee hat keine Zeit verloren«, murmelte Abakum und zückte sein Granuk-Spuck.
    Alle taten es ihm nach, auch Oksa.
    »Die sind mir nicht geheuer!«, sagte sie leise.
    »Keine Sorge, Kleine Huldvolle!«, flüsterte Tugdual ihr zu. »Dir kann keiner etwas zuleide tun.«
    »Mir nicht, aber euch«, entgegnete sie.
    »Glaubst du denn, dass wir uns das gefallen lassen?«, sagte er, den Blick auf das Dutzend Menschen geheftet, die nun gut zehn Meter über ihnen in der Luft kreisten.
    Oksa spürte die extreme Anspannung ihres Vaters, dessen Tintendrache kurz davor war, sich zu zeigen. Das Feuer in Pavels Innerem breitete sich in glühend heißen Wellen aus, er würde den Drachen nicht mehr lange bändigen können.
    Abakum legte ihm die Hand auf die Schulter. »Pavel!«, sagte er leise. »Es ist noch zu früh, der Tintendrache muss unsere Geheimwaffe bleiben.«
    »Da stimme ich dir völlig zu«, knurrte Pavel angestrengt. »Aber ich kann ihn kaum mehr beherrschen.«
    »Lieber Plemplem«, rief Oksa, ohne die fliegenden Männer aus den Augen zu lassen.
    »Ja, meine Huldvolle?«
    »Hilf meinem Vater!«
    Sogleich nahm der Plemplem Pavel bei der Hand und konzentrierte sich. Seine rätselhafte Macht, die Ähnlichkeit mit der des Feenmanns hatte, zeigte bald Wirkung: Das Feuer, das Pavel verzehrte, erlosch, sein Puls beruhigte sich, und sein Geist war wieder frei von dem Fieber, das jeden Gedanken unmöglich machte. Über ihren Köpfen näherten sich die fliegenden Menschen allmählich in spiralförmigen Kreisen dem Boden. Endlich landete der Anführer dieses seltsamen Balletts auf dem Dünenkamm, gefolgt von rund dreißig Männern und Frauen. Alle trugen sie die Kleidung, die Oksa schon an den Treubrüchigen gesehen hatte, als Dragomira ihnen mit dem Filmauge Bilder des Großen Chaos vorgeführt hatte: eine kurze Hose, halbhohe Schnürstiefel, Panzer und Helm aus weichem Leder. Mit herrischer Strenge musterten sie die Neuankömmlinge von der Spitze der Düne herab. Dann kamen sie, kleine Sandwölkchen aufwirbelnd, im Gleichschritt herunter. Abakum und die ältesten Rette-sich-wer-kann wichen einige Schritte zurück, als sie den Anführer erkannten. Orthon hingegen richtete sich zu seiner vollen Größe auf, und sein Gesicht zeigte wieder seine altbekannte kaltblütige Miene.
    Mit einer gebieterischen Geste befahl der Anführer seinen Begleitern, die beiden Clans einzukesseln. Lange musterte er die Rette-sich-wer-kann und ihre Geschöpfe, bevor er sich den Treubrüchigen zuwandte. Schließlich richtete er den Blick direkt auf Oksa. Es lag Triumph und Erstaunen darin. Die Neue Huldvolle schauderte. Es war Ocious, der schreckliche Mauerwandler, da bestand kein Zweifel. Trotz seines hohen Alters – er musste weit über hundert sein – machte er keinen greisenhaften Eindruck. Er strahlte mehr Macht und Autorität aus als all seine Begleiter, obwohl seine Leibwache ebenfalls reichlich einschüchternd wirkte. Sein kahler Schädel war vollkommen geformt und unterstrich noch seine markanten, kaum vom Alter gezeichneten Gesichtszüge. Ocious beobachtete die Junge Huldvolle eine Weile schweigend. Seine Augen waren so pechschwarz, dass Oksa das Gefühl hatte, sie könnten sie verschlingen. Ein leises Lächeln umspielte seine schmalen Lippen, in seinen Mundwinkeln standen kleine Fältchen, die sich in dem kurzen grauen Bart verloren. Nach einer Weile schweifte sein Blick weiter, bis er endlich auf Orthon fiel. Mit ausgebreiteten Armen ging er auf ihn zu. Sein Sohn rührte sich nicht, sondern ließ ihn zu sich kommen.
    »Mein Sohn«, sagte Ocious, legte ihm die Hände auf die Schultern und betrachtete ihn neugierig. »Du bist es wirklich.«
    Orthon reagierte bemerkenswert kaltblütig. Sein perlmuttschimmerndes Gesicht blieb unbewegt. Allein das rasche Tempo, in dem sich sein Brustkorb hob und senkte, verriet seine Aufregung.
    »Ja, Vater, ich bin es«, sagte er schließlich völlig beherrscht. »Und wie du siehst, bin ich nicht mit leeren Händen zurückgekehrt!«, fügte er mit einem Blick auf Oksa hinzu.
    »Was?«, protestierte diese. »Wollen