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Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Titel: Oksa Pollock. Die Entschwundenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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Leben würde sie von ihrem treuen Beschützer getrennt sein. Den ganzen Tag über hatte sie schweigend zusammen mit ihm in ihrem Streng-vertraulichen-Atelier gearbeitet, Granuks und Befähiger hergestellt, um die Vorräte aufzustocken. Die würden sie im Inneren des verhexten Gemäldes dringend brauchen! Mit geröteten Augen sah die Baba Pollock ihren Freund an.
    »Pass gut auf dich auf, mein lieber Beschützer … und bring sie alle wieder lebendig zurück«, murmelte sie.
    »Es wird alles gut gehen«, versicherte ihr der Feenmann, wirkte allerdings nicht vollkommen überzeugt von seinen eigenen Worten. »Wir sind im Nu wieder da, ich verspreche es dir. Uns wird nichts geschehen. Du weißt, dass wir einiges aufzubieten haben. Pavel hat viel mehr Fähigkeiten, als er zugeben will. In Leomido verbinden sich Erfahrung und Klugheit. Pierre verkörpert die pure Kraft und Tugdual die dunkle Macht, an der es uns Idealisten manchmal mangelt. Und was unsere Unverhoffte angeht, sie weiß es zwar nicht, aber in ihr schlummert eine unglaubliche Stärke.«
    »Beschütze sie!«, beschwor ihn Marie. »Ich würde es nicht überleben, wenn …«
    Oksas Herz krampfte sich vor Schmerz zusammen. Dass ihre schwerkranke Mutter die Möglichkeit des Todes aussprach, brachte ihre Standhaftigkeit endgültig ins Wanken.
    »Los, gehen wir«, sagte sie abrupt. Sie hatte das Gefühl, mit jeder Sekunde, die sie noch länger wartete, völlig den Mut zu verlieren.
    Pierre machte den Anfang. Er drückte seine Frau an sich, und alle anderen folgten seinem Beispiel. Pavel gab Marie einen letzten Kuss und machte dann Oksa Platz, die das Gesicht am Hals ihrer Mutter vergrub. Das halte ich nicht aus …, ging es ihr durch den Kopf. Abakum legte ihr sanft die Hand auf die Schulter. Es war Zeit zu gehen. Oksa fuhr sich durch die Haare und nahm eine Ninja-Pose ein, um sich von ihrer Traurigkeit abzulenken: ein Bein nach hinten gestreckt, die Arme vor dem Körper erhoben.
    »Und jetzt zu dir, du verdammtes Gemälde!«, rief sie und wischte sich mit dem Handrücken über das tränennasse Gesicht. »Jetzt kannst du was erleben, du wirst schon sehen. Wir kommen, Gus! Halte durch!«
    Kaum hatte Pavel die Leinwand mit den Fingern berührt, spürten die sechs Abenteurer, alle Hand in Hand, wie sie in den perlmuttschillernden, sich langsam bewegenden Wirbel aus Farben eingesogen wurden. Einen Moment lang hielten sie sich auf dem schmalen Rand des Holzrahmens, unter dem sich der ungeheuerliche Abgrund auftat. Abakum erlag als Erster dem Sog der Leere: Er ließ sich fallen und riss die anderen mit sich.
    »Mamaaaaaa!«, schrie Oksa und drückte die Hände, die sie hielt – die von Abakum auf der einen, die ihres Vaters auf der anderen Seite –, so fest, dass sie schon fürchtete, ihnen die Knochen zu brechen.
    Ihr Schrei wurde sofort von den Wänden des tiefen, weiten Schachts geschluckt, in den sie fielen. Minutenlang hatten sie das Gefühl, zu schweben und wie Federn in einer imaginären, dunklen Wolke herumzuwirbeln. Keiner konnte irgendetwas erkennen, außer vielleicht einen violettfarbenen Nebel, der ihren Sturz in einen beängstigenden Schleier hüllte. Je tiefer sie in den Nebel hinunterschwebten, umso düsterer wurde es. Und umso banger wurde ihnen zumute …
    Plötzlich kam die ganze Gruppe zum Stillstand. Ein erdrückendes Schweigen umgab sie, sie hielten unwillkürlich den Atem an. Sie saßen auf einem federnden, weichen Untergrund und sperrten so angestrengt die Augen auf, dass es wehtat. Doch die Dunkelheit war ebenso vollkommen wie die Stille.
    »Seid ihr alle da?« Abakums Stimme klang dumpf in der Finsternis.
    »Ich bin da«, meldete sich Pavel sofort und drückte Oksas Hand, die er nach wie vor ganz fest hielt. »Alles in Ordnung, Oksa?«
    »Äh … ja, ich glaube schon«, antwortete sie zitternd.
    »Ich bin auch da«, kam es von Pierre.
    »Und ich auch!«, sagte Leomido. »Aber ich fürchte, ich habe Tugdual verloren«, fügte er betreten hinzu. »Unsere Hände wurden kurz vor unserer Landung getrennt. Er kann nicht weit sein.«
    Oksa spürte, wie ihr alles Blut aus dem Gesicht wich. Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen, während ihr Ringelpupo mit einer noch nie da gewesenen Intensität um ihr Handgelenk pulsierte.
    »Tugdual! Wo bist du?«, schrie sie, so laut sie konnte.
    Die vier Männer folgten ihrem Beispiel und schrien aus voller Kehle Tugduals Namen. Sogar die Plempline, die in einem Geschirr fest und sicher auf Pavels Rücken

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