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Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Titel: Oksa Pollock. Die Entschwundenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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beinahe vollständiger Dunkelheit umhüllt. Ein Schauder überlief sie. Vor ihr öffnete sich ein schmaler Pfad: Gespenstische Flecken von Licht, die durch das Laub der Bäume drangen, markierten ihn. Unwillkürlich wandte Oksa den Blick zurück. Doch der Wald machte seinem Namen alle Ehre und hatte sich bereits hinter ihr geschlossen. Das einzige Lebewesen in ihrer Nähe war ein wunderschöner Hase mit braunem Fell, der sie mit sanften Augen ansah.
    »Abakum?«, murmelte sie.
    Der Hase nickte, und Oksa hätte schwören können, dass er dabei grinste. Sie bückte sich und nahm den Hasen auf den Arm. Wie beruhigend es doch war, einen so zuverlässigen Begleiter dabeizuhaben!
    »Dreh dich nicht um, meine Kleine«, raunte ihr der Hase zu. »Tugdual ist nicht weit hinter uns. Lass ihn ruhig in dem Glauben, dass du ihn nicht bemerkt hast, einverstanden?«
    »Warum denn?«, fragte Oksa verwundert.
    »Es hilft ihm, zu glauben, dass er dein heimlicher Beschützer ist.«
    »Verstehe«, gab Oksa flüsternd zurück. »Aber wie kann er uns denn folgen, während Papa und Leomido von uns getrennt wurden?«
    »Ach«, seufzte der Hase, »Tugdual erfasst die Dinge eben schneller als die anderen. Anstatt sich auf Gus zu konzentrieren, hat er dich zum Ziel erwählt. Und nun geht er überallhin, wo du hingehst, so einfach ist das.«
    Oksa wurde rot. Tugdual war schon ein erstaunlicher Junge.
    »Aber lass dich davon nicht ablenken«, mahnte der Hase. »Denk immer schön an Gus.«
    Oksa setzte sich wieder in Bewegung. Den Blick fest auf den Pfad gerichtet, der mitten ins tiefste Dickicht führte, marschierte sie los und genoss den frischen grünen Geruch. Mannshohes Farnkraut bildete ein Dach über dem von dunkelgrünem Moos gesäumten Pfad. Bei jedem Schritt, den sie zurücklegte, schlugen die Farnwedel hinter ihr zusammen und verwandelten sich in eine undurchdringliche grüne Mauer. Es gab kein Zurück! Der Hase Abakum hüpfte, immer in ihrer Nähe, durch das Unterholz. Von Zeit zu Zeit hörte sie einen Zweig knacken oder Laub rascheln und nahm an, dass es sich dabei um Tugdual handeln musste, der nicht weit hinter ihr war. Ein Feenmann zusammen mit einem Handkräftigen und Mauerwandler als Begleitschutz – was sollte da noch schiefgehen? Beruhigt von diesem Gedanken, entspannte sie sich vollkommen und beobachtete beim Gehen den Wald. Es war ein sagenhafter Ort – hier regierte das Übermaß! Die Bäume waren atemberaubend, so groß und schön, dass sie ihr beinahe unwirklich vorkamen. Selbst die größten Bäume der Erde – die riesigen Mammutbäume in Nordamerika – hätten wie Zwerge gewirkt gegen diese Giganten. Oksa musste an die Erzählungen Abakums und ihrer Großmutter vom Landstrich der Silvabulaner in Edefia denken. Sie hatte sich nie getraut zuzugeben, dass sie sich eigentlich gar nicht vorstellen konnte, was die beiden da beschrieben: ganze Städte in den Baumkronen, viele Meter über dem Boden. Doch als sie jetzt diese Baumriesen sah, zweifelte sie keinen Augenblick mehr daran. Allerdings hatte diese Schönheit auch etwas Unheimliches, fast Bedrohliches. Die vollkommene Stille und Reglosigkeit waren so ungewöhnlich, dass es Oksa ganz nervös machte. Sie fühlte sich beobachtet, fast so, als ob sie in einer Falle säße. Vielleicht versteckten sich hinter jedem Baum, jedem Farn, jedem Grasbüschel heimtückische, feindselige und gefährliche Wesen, die nur darauf warteten, sich auf sie zu stürzen und sie in Stücke zu reißen! Sie hob den Kopf, um zu den Baumwipfeln hinaufzusehen und – wer weiß? – vielleicht sogar ein Stück Himmel zu erspähen, das dieses erdrückende Gefühl des Eingesperrtseins ein wenig lindern würde. Enttäuscht stellte sie jedoch fest, dass die Wipfel der riesenhaften Bäume Kilometer weit weg zu sein schienen.
    »Allmählich kriege ich Wahnvorstellungen«, murmelte sie.
    Wie ein Hans Guck-in-die-Luft marschierte Oksa weiter, immer wieder nach Fleckchen des blasslila Himmels zwischen dem dunklen Laub Ausschau haltend. Das Gefühl des Eingeschlossenseins wurde immer beklemmender, und je schneller ihr Herz schlug, umso mehr beschleunigten sich auch ihre Schritte, bis sie schließlich geradezu panisch zu laufen anfing. Sie riss sich zusammen, um nicht loszuschreien, denn sie wollte Abakum nicht beunruhigen und schon gar nicht vor Tugdual wie ein Feigling dastehen. So folgte sie weiter den Kurven und Windungen des Pfades, der sie immer tiefer in den Wald hineinführte. Plötzlich

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