Oksa Pollock. Die Entschwundenen
gemeint hatte. Vor ihren Augen erstreckte sich bis zum Horizont eine Landschaft aus samtig braunen Hügeln – wie ein Wüstenmeer. Doch das Eindrucksvollste daran war nicht die enorme Weite, sondern etwas anderes: Die Hügel bewegten sich! Ganz gleichmäßig wogten sie in einem beständigen kraftvollen Rauschen wie ein Meer aus Vegetation auf und ab. Das Heidekraut, das die Hügel bedeckte, leuchtete bei jeder Bewegung wie schillernde Seide. Es war ein Anblick von atemberaubender Schönheit.
»Wow!«, hauchte Oksa staunend. »Das sieht fast aus wie das Meer. Man kriegt richtig Lust, reinzuspringen.«
»Nein!«, rief Gus und packte sie am Arm, da sie Anstalten machte, weiter auf die seltsam wogende Fläche zuzugehen. »Ich weiß zwar nicht, was dann passieren würde, aber meiner Meinung nach lässt du das lieber bleiben.«
»Da hat er recht«, pflichtete ihm Tugdual bei. Auch er konnte den Blick nicht von dem eindrucksvollen Schauspiel abwenden. »Ich glaube, wenn du da hineinspringst, wirst du verschlungen wie eine Fliege von einer fleischfressenden Pflanze.«
Oksa schauderte und wich respektvoll einen Schritt zurück. Gus warf Tugdual einen rabenschwarzen Blick zu, den dieser mit einem unschuldigen Lächeln quittierte.
»Schau mal, Oksa!«, rief Gus und deutete nach oben. »Der Himmel!«
Oksa hob den Blick und staunte: Der blasslila Himmel war voller Planeten; sie rotierten in aberwitziger Geschwindigkeit um die riesige Sonne, von der unzählige violette Strahlen ausgingen.
»Wo sind wir bloß?«, fragte sich Oksa halblaut.
»Wünscht Ihr genaue Lokalisierungsdaten?«, meldete sich das Wackelkrakeel.
»Wenn du welche hast, gerne!«, gab Oksa skeptisch zurück.
»Zu Befehl«, erwiderte das Krakeel. »Wir sind immer noch in Großbritannien, London-Zentrum, westliche Mitte. Doch unser genauer Standpunkt hat sich verändert: Gegenwärtig befinden wir uns am Bigtoe Square, oberste Etage, in dem Zimmer namens Streng-vertrauliches-Atelier der Alten Huldvollen, südliche Wand, ein Meter zwanzig über dem Boden, drei Meter fünfundzwanzig Entfernung zur östlichen Zimmerecke, drei Meter vierzig Entfernung zur westlichen. Ich kann noch präzisieren, dass wir auf einem Brett stehen und drei Augenpaare auf uns gerichtet sind.«
Die Blicke der Rette-sich-wer-kann folgten dem des Wackelkrakeels, das den lilafarbenen Himmel betrachtete.
»Woher weiß es das alles?«, murmelte Gus und kniff die Augen zusammen.
»Ich weiß es nicht, junger Meister, ich sehe es«, antwortete das kleine kegelartige Geschöpf und schaukelte dabei auf dem Heidekraut hin und her.
»Das Krakeel hat recht!«, rief Oksa plötzlich aufgeregt. »Seht nur! Da bewegen sich Schatten am Himmel!«
Alle blickten erneut nach oben und strengten ihre Augen an. Tatsächlich huschten Schatten über den eigenartigen Himmel, wie Vogelschwärme, die mal hierhin und mal dorthin flogen oder näher kamen, was das Gefühl einer Präsenz von irgendetwas noch verstärkte.
»Die Schatten sind nicht am Himmel, junge Herrin«, korrigierte das Krakeel, »sondern dahinter. Wir werden beobachtet!«
Direkt über der kleinen Gruppe verdunkelte ein oval geformter Schatten den Himmel. Die Konturen eines Gesichts zeichneten sich ab, und alle erkannten Dragomira wieder.
»Baba!«, schrie Oksa. »BABA! WIR SIND HIER!«
Doch die forschenden Augen der Baba Pollock konnten nichts in dem Gemälde erkennen. Die Schreie und das verzweifelte Winken der Freunde verloren sich in dem blasslila Himmel, ohne zu Dragomira durchzudringen. Schließlich verschwand das Gesicht der alten Dame wieder. Eine tiefe Niedergeschlagenheit erfasste die Eingemäldeten.
»Gegenwärtig sind wir zu einer Rolle von acht Zentimeter Durchmesser aufgerollt und mit einer Lederkordel von dreiundvierzig Zentimeter Länge verschnürt«, vermeldete plötzlich das Wackelkrakeel in die Totenstille hinein. »Die Alte Huldvolle hat die Leinwand aufgerollt und in ein Behältnis aus Holz gesteckt – Buche, wie mir scheint. Nun befinden wir uns in einem verborgenen Wandfach im Streng-vertraulichen-Atelier, hinter dem Porträt des Sohnes der Alten Huldvollen.«
»Im Granuk-Versteck!«, rief Oksa aus. »Dann ist ja alles gut. Wir sind in Sicherheit! Hey, schaut mal da! Sieht das nicht aus wie der Schmetterling aus dem Wald?«
Die anderen folgten Oksas Blick und sahen den schönen schwarzen Schmetterling auf ihren Hügel zuflattern.
»Das ist der Kundschafter des Abgesandten des Herz-Erforschs!«, gab Gus zur
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