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Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Titel: Oksa Pollock. Die Entschwundenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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Rette-sich-wer-kann, die er ausfindig machen konnte. Jedes Mädchen, das auf die Welt kam, wurde Gegenstand seiner Nachforschungen, denn es konnte die neue Huldvolle sein. Als ich ihm erzählte, dass ich einen Sohn hatte, stand ihm die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben, während ich – ich muss es zugeben – zutiefst erleichtert war.
    Mein Bruder machte mir Angst, ich wollte nicht, dass er sich in mein Leben mischte. Doch von diesem Abend an besuchte er mich immer wieder, nicht nur, um mich über den Fortgang seiner Recherchen auf dem Laufenden zu halten, sondern auch, um zu überprüfen, ob sich nicht eine potenzielle neue Huldvolle in meinem Umfeld aufhielt. Als mein Sohn und meine Schwiegertochter ihre Zoé bekamen, steigerte sich sein Interesse und damit die Häufigkeit seiner Besuche. Angesichts ihrer Abstammung hätte Zoé durchaus die nächste Huldvolle werden können. Auch ich wusste das nur zu gut, und beim Gedanken daran war mir Tag und Nacht bange. Doch zum Glück verhielt es sich anders, und Orthon richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf Oksa, die er ebenfalls aufgespürt hatte.
    Trotzdem kehrte in mein Leben keine Ruhe ein. Orthons Größenwahn beunruhigte mich mit der Zeit immer mehr. Dieser Mann war gefährlich. Ich wusste, dass er skrupellos jeden beseitigte, der sich ihm in den Weg stellte, er rühmte sich seiner Taten sogar vor mir. Da beging ich einen fatalen Fehler: Ich drohte ihm, Leomido zu warnen, wenn er weiterhin seine finsteren Pläne verfolgte. Ich hatte Angst um Oksa, von der mir mein Gefühl sagte, dass sie die neue Huldvolle sein würde, und ich war schon kurz davor, Leomido aufzusuchen, um ihm alles zu berichten. Dann passierte etwas Schreckliches: Mein Sohn und meine Schwiegertochter kamen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.«
    Die alte Dame unterbrach ihre Erzählung. Ihre Lippen zitterten, ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie wandte den Kopf ab und wartete, bis sich ihr Atem wieder beruhigt hatte.
    »Von da an wich der Zweifel nicht mehr aus meinem Herzen: Hatte Orthon sie womöglich getötet? Ich wusste, dass er zu so etwas fähig war. Der Gedanke nagte monatelang wie Gift an mir, doch ich konnte mit niemandem darüber sprechen. Es kostete mich ja schon all meine Kraft, mich um Zoé zu kümmern und diesen Schmerz auszuhalten, der uns beide beinahe umbrachte. Eines Tages kam Orthon wieder vorbei. Wie immer bei seinen Besuchen eskalierte unsere Unterhaltung schon bald. In meiner Verzweiflung schleuderte ich ihm meinen Verdacht entgegen. Ich drohte ihm, Leomido oder Dragomira aufzusuchen und ihnen alles zu erzählen. Das war vor einigen Monaten. Und seit diesem Tag bin ich eingemäldet.«

Die Wogenden Hügel
    R
emineszens verstummte. Sie hatte die Hände im Schoß gefaltet und saß da wie versteinert. Ihre Zuhörer betrachteten sie ergriffen. Die erschütternde Erzählung hatte alle tief bewegt. Ein lautes Schniefen der Plempline durchbrach schließlich die Stille.
    »Meine liebste Remineszens …«, murmelte Leomido. Er war leichenblass. »Ich konnte einfach nicht anders …«
    »Mach dir keine Vorwürfe.«
    »Ich konnte nicht anders!«, stieß Leomido erregt hervor und ballte in ohnmächtiger Wut die Fäuste.
    »Lassen wir die Vergangenheit ruhen«, sagte Remineszens. »Wir können sie ja doch nicht ändern. Wir müssen eben alle lernen, mit unserem Leid zu leben, so gut wir es vermögen.«
    »Aber es ist … schrecklich«, stammelte Oksa.
    Remineszens sah sie mit einem schicksalsergebenen Ausdruck an. Dann stand sie auf, den Kopf hoch erhoben.
    »Nun denn … Wir sollten unseren Weg fortsetzen, meint ihr nicht?«
    »Von da oben hat man eine phantastische Aussicht. So was habt ihr garantiert noch nie gesehen!«, rief Gus.
    Er nahm den Kapiernix bei der Hand, der mit treuherzig-verständnisloser Miene zu ihm aufsah, und zusammen steuerten sie mit langsamen Schritten die Hügelkuppe an.
    »Nein, so was!«, sagte der Kapiernix plötzlich und blieb abrupt stehen. »Das heißt ja, dass die kleine Zoé die Enkelin von Remineszens und Leomido ist!«
    »Äh … stimmt!«, bestätigte Oksa. »Und damit du es genau weißt, Kapiernix: Wir wissen es seit gerade mal vier Monaten!«
    »Vier Monate?«, wiederholte das Geschöpf verdutzt. »Ah! Deshalb habe ich es also noch nicht mitbekommen.«
    Gus lachte schallend. »Total durchgeknallt, der Typ …«
    Oksa lief ein Stück voraus, und als sie die Hügelkuppe erreichte, verstand sie, was Gus mit der phantastischen Aussicht

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