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Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Oksa Pollock. Die Entschwundenen

Titel: Oksa Pollock. Die Entschwundenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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du?«
    Oksa schaute ihn forschend an und erkannte trotz des Halbdunkels, wie besorgt er wirkte. Sekundenlang konnte sie sich nicht von seinem durchdringenden Blick lösen.
    »Habt Ihr nicht auch irgendwas gehört?«, fragte der Kapiernix und unterbrach damit den stummen Dialog der beiden. »Es klang fast wie ein Schrei. Ein menschlicher Schrei …«
    Endlich setzten sich Tugdual und Oksa in Bewegung und gingen tiefer in den Gang hinein. Er verbreiterte sich rasch und nahm die Ausmaße und wenig einladende Atmosphäre eines Eisenbahntunnels an. Dank des Lichts, das die Phosphorille lieferte, konnten die beiden etwa zwanzig Meter vor sich die übrigen Rette-sich-wer-kann ausmachen, die um Pierre und Gus herumstanden.
    »Uff!«, entfuhr es Oksa. Sie war erleichtert, dass ihrem Freund nichts passiert war. »Aber … was ist denn das?«
    Über den Köpfen der Rette-sich-wer-kann flatterte etwas, das sie jedoch nicht genau erkennen konnte. Fledermäuse? Riesige Nachtfalter? Sie wagte sich einen Schritt vor, doch Tugdual hielt sie am Arm fest.
    »Warte. Geh nicht näher ran.«
    »Was ist das?«, fragte Oksa verunsichert.
    »Wahnsinn! Ich dachte immer, das wäre ein Mythos! Ich glaub’s nicht!«, murmelte Tugdual und beobachtete mit zusammengekniffenen Augen das Geschwirre. »Hast du dein Granuk-Spuck da, Kleine Huldvolle?«, fragte er, ohne den Blick von dem seltsamen Spektakel zu wenden.
    »Äh … ja.«
    »Spendierst du uns eine Reticulata?«, fragte er.
    »Oh! Na klar!«
    Oksa holte ihr kleines, kunstvoll gearbeitetes Blasrohr hervor und murmelte die Formel:
    Reticulata, Reticulata! –
    Und das Ferne sei mir nah.
    Sofort kam eine Blase am Ende des Granuk-Spucks zum Vorschein, die aussah wie eine große Qualle und als Lupe fungierte. Tugdual berührte Oksas zitternde Hand ganz leicht mit den Fingerspitzen, um die immer größer werdende Blasenlupe auf das seltsame Geflatter zu richten. Oksa zuckte unter der unerwarteten Berührung zusammen, doch als sie sah, was da über den Köpfen der Rette-sich-wer-kann herumflog, ergriff sie instinktiv den Arm des Jungen.
    »Ah!«, schrie sie auf.
    Sofort drehten sich alle besorgt zu ihr um. Und leider schienen auch die scheußlichen Kreaturen alles andere als taub oder blind zu sein: Sie richteten ihre Furcht einflößenden Augen auf sie und schwebten einen Augenblick später direkt über ihr. Oksa ließ vor Schreck ihr Granuk-Spuck fallen. Es landete mit einem klappernden Geräusch auf dem feuchten Boden, und die Reticulata fiel in sich zusammen.
    »Hab keine Angst«, sagte Tugdual leise, hob ihr Blasrohr auf und drückte es ihr in die Hand.
    Er tat, den Arm zum Schutz erhoben, einen Schritt nach vorn, doch die fliegenden Kreaturen bildeten einen geschlossenen Kreis um sie und ließen ihnen keinen Bewegungsspielraum.
    »Das ist ja … der Horror«, sagte Oksa. Sie war dennoch völlig gebannt von dem Anblick.
    Die unglaubliche Szene wirkte wie albtraumhafte Zauberei. Nur einige Zentimeter von Oksa entfernt schwebten ungefähr fünfzehn körperlose Köpfe in der Luft. Der harte Ausdruck auf den Gesichtern stand in krassem Gegensatz zu den fein geschnittenen Zügen und den langen, wallenden Haaren, die sanft hin und her wogten. Einer der Köpfe kam noch näher heran und fixierte Oksa. Das Mädchen erwiderte den Blick mit einer Mischung aus Faszination und Ekel. Das Gesicht war auffallend schön, ein vollkommenes Oval mit makellos geschwungenen Lippen. Nur die Augen verrieten eine Grausamkeit und Gnadenlosigkeit, die Oksa entsetzte. Es war so schwer, dem Blick dieser Kreatur standzuhalten, dass sie schließlich verstört die Augen niederschlug.
    »Die Sirenen der Lüfte«, flüsterte Tugdual und ließ dabei den Kreis der schwebenden Köpfe nicht aus den Augen.
    »Aha. Und was machen die so, diese Sirenen der Lüfte?«, fragte Oksa und verzog das Gesicht.
    »Sie schläfern uns ein, um uns zu entführen und für immer zu besitzen«, antwortete Tugdual flüsternd.
    »Soll das ein Witz sein?«, fragte Oksa und wandte ihm abrupt das Gesicht zu.
    Doch Tugdual wirkte keineswegs so, als würde er scherzen. Er war blass und angespannt und rührte sich keinen Millimeter von der Stelle. Oksa berührte seinen Arm: Er war hart wie Stein. Ihr Freund schien unter Schock zu stehen.
    »Tugdual? Tugdual, hörst du mich?«
    Die anderen, die hinter dem Kreis der Sirenen standen, beobachteten verstört das Geschehen.
    »Was Tugdual sagt, stimmt«, ließ sich jetzt Abakums Stimme vernehmen. »Die

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