Oksa Pollock. Die Entzweiten (German Edition)
ahnte, was nun kommen würde.
»Ich komme mit dir.«
Während der nächsten Minuten versuchte Oksa alles, um ihren Freund umzustimmen. Pausenlos traktierte sie ihn mit ihren Einwänden.
»Du kannst nicht vertikalieren.«
»Abakum auch nicht. Das hat ihn aber nicht daran gehindert, mit euch zu kommen. Du musst mir nur diesen Grammierer besorgen. Wenn es bei ihm funktioniert, dann wird es das bei mir auch.«
Oksas entgeisterte Miene entging ihm nicht.
»Hast du schon vergessen, dass mir jetzt sowohl huldvolles als auch mauerwandlerisches Blut durch die Adern fließt? Wer sagt denn, dass mein Körper nicht auf eure Befähiger reagieren kann? Manchmal bist du ganz schön eingebildet, weißt du?«
Oksa verdrehte die Augen.
»Am besten probieren wir es mal im Garten aus. Dann wissen wir zumindest Bescheid.«
»Gus …«, stammelte Oksa.
»Außerdem könnten dir doch die Froschlinge ein wenig behilflich sein«, fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu.
»Sehr witzig … Selbst wenn es funktioniert: Wenn wir erst mal dort sind, dann wird es verdammt gefährlich, und du … du hast keine magischen Fähigkeiten …«
»Na und? Dafür habe ich was im Kopf. Ich hab dir doch schon oft genug bewiesen, dass ich ganz nützlich sein kann, oder? Glaubst du eigentlich, du bist die Einzige, die Fähigkeiten hat? Soll ich dich mal ganz unhuldvoll an ein paar deiner Schnitzer erinnern? Ich hab langsam genug davon, immer nur außen vor zu bleiben!«
Schließlich blieb Oksa nichts anderes übrig, als nachzugeben. Und dabei stellte sie zu ihrer eigenen Überraschung fest, dass sie im Grunde ihres Herzens Erleichterung verspürte.
»Meine Eltern werden ausrasten, wenn sie das rauskriegen!«, jammerte sie.
»Garantiert! Aber dabei ist es ganz egal, ob du es allein oder mit mir zusammen machst.«
Der folgende Tag stellte Oksas Nerven auf eine harte Probe. Abgesehen von der fiebrigen Erregung, die sie gepackt hatte, musste sie auch noch dem vorwurfsvoll-besorgten Blick des Plemplem ausweichen, während sie mit Gus klammheimlich Pläne schmiedete. Und »klammheimlich« war nicht gerade Oksas Stärke.
»Alles in Ordnung, Oksa?«
»Ja, Mama, alles bestens.«
»Du wirkst irgendwie nervös.«
»Ach, mir geht einfach noch im Kopf herum, was wir in letzter Zeit erlebt haben.«
»Verstehe. Komm mal einen Augenblick zu mir.«
Marie saß auf einem Sofa und wiegte ein Sensibyllen-Pärchen im Arm. Pavel warf von der Küche aus, wo er mit Kochen beschäftigt war, einen zärtlichen, aber wie immer auch besorgten Blick auf die beiden.
Oksa kuschelte sich an ihre Mutter. Maries Haar verströmte wieder einen zarten Duft wie früher. Eine Welle von Nostalgie überkam sie und schien sie mitten entzweizureißen. Dieses Kapitel ihrer Kindheit war endgültig vorbei, und in ein paar Stunden – da machte sie sich nichts vor – würde sie den bisher eigenständigsten Schritt in ihrem Leben wagen. Doch dieser Duft berührte sie für den Bruchteil einer Sekunde so tief, dass sie sich ihrer Mutter beinahe anvertraut hätte.
Ja. Die Tatsache, dass man von Menschen umgeben war, die man liebte und die einen wiederliebten, hatte Einfluss auf das eigene Handeln. Es war wohl kein Zufall, dass die meisten Helden entweder Waisen oder Einzelgänger waren.
»Ich hab dich lieb, Mama.«
Marie drückte sie mit einer Zärtlichkeit an sich, die Oksa durch und durch ging.
»Ich dich auch, mein Mädchen, ich dich auch«, murmelte sie.
Oksa spürte ein Kitzeln in der Nase. Sie blinzelte kräftig, um die aufsteigenden Tränen zu vertreiben, und strengte sich an, ihren Atem dem Pulsieren des Ringelpupos an ihrem Handgelenk anzupassen.
Ihre Kindheit mochte vorüber sein, doch Herzensbande waren unauslöschlich.
Flug ins Ungewisse
Mama, Papa, Abakum und alle anderen,
wenn Ihr das hier lest, sind Gus und ich nicht mehr da. Macht Euch keine Sorgen um uns! Ich verspreche Euch, dass uns nichts passieren wird.
Wir werden nur für kurze Zeit weg sein. Warum, können wir Euch im Augenblick nicht erklären. Doch nach unserer Rückkehr werdet Ihr alles erfahren und unsere Entscheidung verstehen.
Wir tun dies für uns, für das Da-Draußen und für Edefia. Vergesst nicht, dass ich inzwischen groß und stark bin. Eine echte Pollock und eine echte Huldvolle. Und denkt immer daran, dass ich Euch liebe!
Bis später!
Eure Oksa
O ksa legte die Nachricht gut sichtbar auf den Wohnzimmertisch und schaute Gus an. Instinktiv fassten sich die beiden an der Hand und
Weitere Kostenlose Bücher