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Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition)

Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition)

Titel: Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cendrine Wolf , Anne Plichota
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nicht mehr in der Kammer«, fügte Naftali hinzu. »Sie war zu schlau für dich.«
    Ocious schäumte vor Wut. In den Archiven der Huldvollen, die seit Jahrhunderten in der Memothek gesammelt wurden, war von einer weiteren Tür zur Kammer des Umhangs nie die Rede gewesen. Und die eine Tür, hinter der das Mädchen verschwunden war, hatte er nicht aus den Augen gelassen. Er hätte handeln müssen, sobald das Licht hinter der Tür schwächer geworden war, nämlich vor zwei Tagen. Wie hatte er dieses Zeichen nur ignorieren können! Hasserfüllt schaute er Abakum an.
    »Du wusstest es!«, donnerte er.
    Die zwei Männer maßen einander schweigend.
    »Ist dir klar, was du angerichtet hast?«, fragte Ocious.
    »Ja«, antwortete Abakum ruhig. »Ich habe es unserer Neuen Huldvollen ermöglicht, dir und damit ihrem wahrscheinlichen Tod zu entkommen. Glaubst du etwa, wir wüssten nicht, dass du sie ohne jeden Skrupel umbringen würdest, wenn es deinen Zwecken dient?«
    Von jeher war Ocious für seine Kaltblütigkeit bekannt. Und so schrien alle erschrocken auf, als er sich nun völlig unvermittelt auf Pavel stürzte, anstatt Abakum an die Kehle zu gehen. Unter den Augen ihrer Getreuen rollten die beiden Männer über den glitzernden Staub am Boden.
    »Du begehst einen schweren Fehler, Ocious!«, stieß Pavel hervor, während er ihm die Fäuste in die Rippen schlug.
    Die Chiropter und Hellhörigen positionierten sich sogleich über den Rette-sich-wer-kann, doch es kam, wie es kommen musste: Der Tintendrache erwachte aus der Tätowierung auf Pavels Rücken, umschlang die beiden Kämpfer mit seinen goldbraunen Flügeln und zwang sie, ihren Faustkampf einzustellen. In dem weiten Gewölbe unter der Erde schüttelte der Drache wütend den Kopf und spuckte Feuer. An die hundert der fliegenden kleinen Ungeheuer verschmorten in den Flammen, und ein widerwärtiger Geruch nach Verbranntem breitete sich aus. Die Umstehenden wagten nicht, sich zu rühren – der Anblick von Pavels Drachen flößte ihnen unweigerlich Respekt ein. Nur Orthon war kühn genug, ihn anzugreifen. Ein Granuk schoss auf das aufgerissene Maul des Drachen zu und wurde im nächsten Augenblick zu einem mikroskopisch kleinen Feuerball reduziert. Dann ließ das Geschöpf von Ocious ab und verwandelte sich wieder in die harmlose Tätowierung. Trotz seiner Schmerzen sprang Pavel sofort auf und beobachtete, wie Ocious steif zu seinen Getreuen zurückhumpelte.
    »Wir sind noch nicht fertig miteinander«, murmelte der Alte drohend und zog sein Gewand zurecht.
    Orthon sprang vor, um ihn zu stützen, doch Ocious stieß ihn mit einer schroffen Geste zurück.
    »Und wage es nie wieder, ein Granuk in meine Richtung abzuschießen!«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Nie wieder, hast du verstanden?«
    Orthon zuckte nicht mit der Wimper. Nur seine grauen Augen verdüsterten sich, bis sie die Farbe eines Gewitterhimmels angenommen hatten.
    »Eine ziemliche Demütigung«, murmelte Brune hinter vorgehaltener Hand.
    Gebieterischer denn je stand Ocious da, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Er musterte die Rette-sich-wer-kann mit einem Abscheu, der seinen Groll nur mühsam kaschierte.
    »Führt sie weg! Sperrt sie in ihren Gemächern ein, und bewacht sie strengstens.«
    Etwa dreißig Wachen in Lederrüstung, flankiert von bedrohlich surrenden Hellhörigen, kreisten die Rette-sich-wer-kann ein, um sie abzuführen – Abakum, Pavel, Brune und Naftali Knut, Pierre und Jeanne Bellanger leisteten keinen Widerstand. In ihrem Inneren kämpften widersprüchliche Gefühle miteinander. Das Eingesperrtsein und all die anderen Widrigkeiten nagten an ihnen, doch der rettende Regen, der nun über Edefia niederging, erfüllte sie mit neuer Zuversicht.

Klarmachen zum Gefecht
    D
urchsucht sämtliche Landstriche, befragt alle Bewohner, stellt jedes Haus auf den Kopf, jeden Winkel, jede Höhle in den Bergen, jedes Erdloch! Die Kleine muss irgendwo stecken!«
    Ocious stand am Fenster der Gemächer im obersten Stock der Gläsernen Säule, die er sich angeeignet hatte, und kehrte seinen Söhnen und Getreuen den Rücken zu. Aber es war nicht nötig, sein Gesicht zu sehen, um zu merken, wie heftig sein Zorn war. Seine hochgezogenen Schultern sprachen Bände.
    »Wir finden sie, Vater!«, versicherte ihm Andreas mit seiner schmeichelnden Stimme. »So groß ist Edefia nicht.«
    Orthon konnte sich einen demonstrativen Seufzer nicht verkneifen. Entweder war sein Halbbruder blind vor Optimismus, oder

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