Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition)
hatte, wandte sie sich an Abakum. »Aber dann war es ja erst recht ein Riesenglück, dass du bei eurer Flucht aus der Gläsernen Säule die Boximinor retten konntest, oder?«
»Allerdings«, stimmte Abakum zu. »Und das haben wir allein Tugdual zu verdanken. In dem ganzen Aufruhr hat er trotzdem noch daran gedacht, die Boximinor mitzunehmen. Ohne ihn wären all unsere Geschöpfe und die letzte lebende Goranov jetzt in den Händen der Treubrüchigen.«
Oksa schwieg einen Augenblick und betrachtete die Pflanzen, die nach und nach wieder zu sich kamen.
»Ist das ein Vorteil für uns?«, fragte sie.
»Ein beträchtlicher sogar, was die Goranovs angeht«, sagte Abakum. »Ihr Saft ist von jeher ein notwendiger Bestandteil bei der Herstellung von Granuks.«
»Das ist genial!«, jubelte Oksa. »Das heißt, dass die Treubrüchigen keine Granuks mehr herstellen können.«
»Genau, aber wir sollten uns nicht zu früh freuen. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass Ocious alle Granuk-Vorräte aus den vergangenen Jahrzehnten gehortet hat. Ein Teil davon befindet sich hier im Untergeschoss der Säule, wo wir auch die konfiszierten Granuk-Spucks entdeckt haben, ein anderer allerdings in den Bergen von Steilfels, also im Lager unserer Feinde. Und wie wir schon feststellen mussten, haben sie auch neue Munition entwickelt. Die Säure-Granuks, die sie auf den Schutzschirm abgefeuert haben, beweisen das.«
Oksas schiefergraue Augen verdunkelten sich.
»Wir arbeiten ohne Unterlass, um für möglichst viele Gefahren gewappnet zu sein«, sagte eine der jungen Frauen, die rote Apfelbäckchen hatte. »Kommt doch bitte einmal mit, Junge Huldvolle!«
Das schreckliche Granuk
O
ksa folgte ihr in den hinteren Teil des Raums, wo sich der riesige Ventilator mit leisem Knirschen drehte. Dort schob die Frau ihren Arm einfach in die Wand aus Stein, lächelte der Jungen Huldvollen noch einmal zu und verschwand dann ganz in der Mauer.
»Aber …«, stammelte Oksa.
»Versuch’s!«, ermunterte Abakum sie.
»Das hat doch noch nie geklappt«, widersprach sie.
Der Arm der Frau kam wieder aus der Mauer hervor. Oksa ergriff ihre Hand und wurde plötzlich gegen die Mauer gezogen, die sich mit aller Härte weigerte, sie durchzulassen.
»Siehst du, es funktioniert nicht!«, schimpfte Oksa. »Wenn ich daran denke, dass ich Mauerwandlerin bin und nicht mal durch diese dumme Zwischenwand komme!«
»Manche Sachen lernt man gleich beim ersten Anlauf, und für andere muss man eben ein wenig Geduld aufbringen«, bemerkte Abakum. »Und diese besondere Fähigkeit braucht zweifellos etwas Übung.«
»Also gut, schon verstanden«, sagte Oksa. »Klar, ich brenne darauf, das zu lernen!«
»Tugdual wird dir bestimmt ein exzellenter Lehrmeister sein«, fügte Abakum augenzwinkernd hinzu.
Gerade als Oksa, halb verlegen, halb erfreut, den Kopf zu ihm umwandte, öffnete sich plötzlich eine Geheimtür in der Wand.
»Der Notausgang für hoffnungslose Fälle wie mich!«, rief sie erfreut und schob sich durch den Spalt. »Gute Idee!«
Auf der anderen Seite erwartete sie die Frau mit den roten Bäckchen. Sie befanden sich in einem riesigen Raum mit hoher, gewölbter Decke, der im Halbdunkel lag. Mit einem schüchternen Lächeln lud die Frau Oksa ein, sich selbst davon zu überzeugen, dass sie eben nicht zu viel versprochen hatten: Man war vorbereitet!
»Ah, verstehe!«, murmelte die Junge Huldvolle staunend, nachdem sie sich umgesehen hatte.
Der große Saal war voller Regale, in denen sich riesige Gläser mit Granuks und Befähigern aneinanderreihten. Weitere, noch größere Gefäße standen auf dem Boden. Alle waren mit großer Sorgfalt beschriftet worden.
»Guten Tag, Oksa!«, ertönte eine Stimme hinter ihr.
»Remineszens!«
Die feingliedrige alte Dame kam mit einer Phosphorille auf der Schulter aus dem Dunkel hervor. Ihr Gesicht war noch gezeichnet von den Strapazen der Gefangenschaft und von den Wunden, die ihr Orthon zugefügt hatte. Und doch wirkte sie schöner denn je. Ihre lange violette Seidentunika raschelte, als sie nun mit leuchtenden Augen auf Oksa zukam.
»Wie schön, dich zu sehen! Wie geht es dir?«, fragte Oksa erfreut.
Seit dem ersten Tag ihres Kennenlernens in den Wogenden Hügeln im Gemälde war Oksa jedes Mal, wenn sie Remineszens sah, von ihr beeindruckt. Die Tochter von Ocious und Malorane, Zwillingsschwester von Orthon, Großmutter von Zoé und vor allem furchtlose Kämpferin, hatte eine tragische Lebensgeschichte: Sie war von ihrem
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